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440 Psychische Studien. L. Jahrgang. 9. Heft. (September 1923.)
Drei Romane.
Es sei gestattet, hier auf drei Romane hinzuweisen, die durch ihren
Stoff außerordentlich fesseln und geeignet sind, während der Ferienzeit,
da schwere Lektüre verpönt ist, den Liebhaber psychologischer Probleme
auf das angenehmste zu unterhalten. Der erste ist:
Godwin, Catherina. Der Mieter vom IV. Stock. (Der unheimliche
Roman eines Hauses.) Ullstein-Verlag, Berlin.
In meisterhafter Weise schildert Verfasserin das geheimnisvolle
Treiben eines merkwürdigen Mannes, eben jenes Mieters, der uns bald
als stiller Gelehrter, Kunstsammler, Liebhaberastronom, bald aber als
vollkommenster Weltmann, Verbrecher oder gar als Verrückter erscheint.
Jedenfalls ist der merkwürdige Sonderling eins ganz gewiß, nämlich ein
Meister der Hypnose allererster Klasse. Demzufolge werden wir
Zeuge der allerspannendsten, teilweise erschütternden Erlebnisse. Der
Generaldirektor aus dem I. Stock findet eines Tages seine junge Frau
erdolcht in jener Wohnung im IV. Stock. War es Mord? War es Selbst-
.mord? Die Frage bleibt offen. Er verspürt an sich selbst die geheimnisvolle
Wirkung des Fremden, die vermutlich seine Gattin ohne sein Wissen
nach oben zwang, in die dunklen Räume, wo Kerzen brennen und zahlreiche
geschnitzte Christusbilder an den Wänden hängen: das Leid, das
Leid ... Er beschließt, das Haus zu erwerben, um jenen Mieter loszuwerden
, kauft es zu dem phantastischen Pjreis von 200 Millionen und
kauft des dicken Besitzers bildschöne Nichte dazu. Wieder vermacht
er dieser im Ehevertrag das Haus und das Geld! Aber jener Mieter
erweist sich als der Stärkere, er zwingt (auch diese junge Frau abendlich
in seine Behausung. Aneinandergeschmiegt blicken sie in den Sternenhimmel
, und der Geheimnisvolle ertötet alle Gefühle zu ihrem Manne.
Sie erkrankt, muß nach Arosa, und als der Generaldirektor einige Zeit
später nachreist, trifft er den einstmals Anspruchslosen dort als elegantesten
Weltbummler, der viele Sprachen spricht, seinen Feind aus seinem
eigenen Hause, der der Vertraute und Privatsekretär eines exotischen
Fürsten geworden ist. Seine Frau sagt sich von ihm los, verlobt sich
mit dem Fürsten. Der Direktor bricht zusammen, ermordet eines nachts
im Sanatorium jenen Fürsten durch Erwürgen. Welcher Geheimnisvolle
öffnete nachts an seiner Zelle die wohlverschlossene Tür? Man bringt
ihn in die Irrenanstalt, will aber alles merkwürdige Geschehen möglichst
vertuschen, erklärt ihm, er habe nur einen bösen Traum gehabt, und der
„Mieter" bringt ihn selbst aus dem Süden nach Hause zurück, nach der
Eröffnung, daß der Fürst von einer Ehe ^abgesehen und seine vormalige
Braut, des Generaldirektors Frau, als Tochter adoptiert habe. Seelisch
dazu in seiner früher machtvollen Position ajtuch! giesfchäftlich vernichtet,
wird der Generaldirektor nun zur Scheidungl von seiner jungen Frau, die
noch in dem geheimnisvollen Bann'e lebt, gezwungen. Der „Mieter" tritt
selbst als Käufer des Hauses auf, verspricht ihm 300 Millionen, wenn er
die „Schuld" auf sich neihme, un,d ermöglicht einen Ehebruch, indem er
selbst die Täterin bereitstellt, die verteufelt der eigenen Gattin ähnelt...
Der Direktor rafft sich wieder auf, tritt an die Spitze eines großartigen
Unternehmens, eines Weltfilmkonzerns, und in der Gründerversammlung
erscheint mit der jungen exotischen Fürstin als ihr ergebener Sekretär
der geheimnisvolle „Mieter", reißt die Zügel der Versammlung an sich,
stellt die junge, blonde, schöne Frau als Hauptträgerin aller Filmrollen
vor und sich selbst als die „Seele des Unternehmens". Er bittet den
Direktor, den Titel des ersten Filmspiels zu verlesen, der aber wird vom
Herzschlag getroffen, endlich gefällt von jenem, von dem es bis zuletzj<
unklar bleibt: War er ein Sonderling oder ein absoluter Schurke? — In
das nach einem Schrei des Schreckens verhaltene Schweigen liest er als
Lektor den Titel des Manuskripts, das er der verkrampften Hand des
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