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514 Psychische Studien. L.Jahrgang. 11. Heft. (November 1923.)
Die Betrugshypothese dürfte nach allem auszuschalten sein.
Wer sollte in der Dunkelheit all die Zettel in der Kiste haben
schreiben können, die vielfach auf Fragen Antwort gaben, die
soeben erst von sehr verschiedenen Personen gestellt worden
waren? So sind denn auch alle vernommenen Zeugen von der
Echtheit der Phänomene überzeugt. Ja, die meisten glauben fest,
daß hier der Verstorbene selbst am Werk gewesen, nur wenige,
wie der Pfarrer Kosacewsky, drücken sich zurückhaltender aus.
Ein gewisser Mangel der Beobachtungen liegt wohl darin, daß
man nicht immer darauf geachtet hat, z. B. da, wo es sich nur um
Telekinese oder um Klopflaute gehandelt, wer etwa als Medium
dabei in Betracht käme. Denn Kisten werden nur durch materialisierte
Glieder gerückt und Klopf laute werden gleichfalls durch
materialisierte Gebilde hervorgerufen, wie z. B. die Untersuchungen
des verstorbenen Belfaster Physikers Crawford gezeigt
haben. Die Suche nach einem Medium macht hier aber keine
Schwieiigkeiten. Außer dem Vetter Wladimir käme dieses oder
jenes der Pfarrerkinder in Betracht, wie z. B. die Schwester
Marie. Eine gewisse Schwierigkeit liegt nur darin, daß man mit
einem Medium wohl nicht auskommt, zumal am 16. Dezember
die Erscheinungen zum großen Teil an die Person des Fräulein
Bauer geknüpft waren, die bis dahin noch gar nicht auf den
Plan getreten war. Einen irgendwie stärkeren Trancezustand
scheint keine der betreffenden Personen erlebt zu haben. Um so
mehr tritt die Frage nach einem spiritistischen Ursprung
der Phänomene in den Vordergrund, und gerade der Wissenschaftler
darf ihr nicht ausweichen,, da es für ihn dogmatische
Vorurteile, sei es. welcher Art auch immer, nicht geben darf.
Gegen die spiritistische Deutung scheint der Umstand durchaus
zu sprechen, daß wir in den Mitteilungen Wasils irgendwelche
nennenswerten Aufklärungen über den Zustand der jenseitigen
Welt nicht erhalten. Alles scheint hier vielmehr der rein kindlichen
Gedankenwelt des noch Lebenden angepaßt. Wenn es
z. B. auf einem verlorengegangenen Zettel geheißen haben soll,
im Himmel sei alles so, wie es im Katechismus beschrieben stehe,
so kann man mit solch vagen Bemerkungen nicht viel anfangen.
Wir werden uns aber vielleicht doch der Vorstellung allmählich entwöhnen
müssen, daß wir nach dem Tode sogleich in eine ganz
neue, andersartige Welt mit unseren Gedanken und Erkenntnissen
versetzt werden. Die Mitteilungen des kleinen Wasil machen
mit all seinen kindlichen Sorgen, Enttäuschungen, Erzürniss<ni,
Dankesbezeigungen usw. doch einen recht lebensvollen Eindruck.
Er erscheint freilich noch stark erdgebunden, sein Leben wie
die Fortsetzung des irdischen Lebens, wenn er auch mit manchen
anderen Toten zusammen zu sein behauptet. Aber die Meinung
geht doch wohl zu weit, daß ein solcher vielleicht etwas dämmer-
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