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Ö30 Psychische Studien. L. Jahrgang. 11. Heft. (November 1923.)
•Bruck: Ich möchte jetzt eine Frage stellen. Ich sehe die Sache
bildhaft. Können Sie sich ein Bild machen? Es handelt sich um ein
Krankheitsbild.
Med.: Ich kaniivtnir das schwer vorstellen. Unwillkürlich übertrage
ich das auf das Gefühl, und es fällt mir sehr schwer, vor mir etwas
bildhaft zu sehen. Und wenn ich versuche, bildhaft zu sehen, dann fällt
mir immer etwas Zusammengekrampftes ein.
Bruck: Wollen Sievsich nur auf das Gefühl verlassen?
Med.: Es ist sehr schwer. Ein Gefühl werde ich nicht los. Sagen
Sie mal ganz fest zu mir, ob das Gefühl von Ihnen zu mir überspringt.
Wenn das Gefühl nicht zu der Krankheit gehört, soll es fortgehen. Ich
habe die Empfindung, daß es von Ihnen auf mich überspringt.
Bruck: Wir wollen das ausschalten, daß keinerlei Beziehungen
bestehen zwischen mir(und dem Bilde, das den Fall repräsentiert. Diese
Krankheit habe ich nie gehabt und werde sie auch nie bekommen. Wir
wollen also das Gefühl, das von mir auf Sie übergesprungen ist, ganz
ausschalten.
Med.: Es geht aber nicht weg. Ich habe dauernd das Gefühl des
Ziehens und des Zerrens hier hinten (von der rechten Nackenseite in den
rechten Arm). Ich dachte, es käme von Ihrem rechten, Ohr. Das ist Ihr
Rheumatismus und »Ihr Ohr. Das geht nicht fort.
Bruck, Ich konzentriere mich ganz scharf auf den Fall sowohl
bildhaft, als auch in bezug auf andere Fälle der Krankheit, die ich schon
gesehen habe.
Med.: Ich muß mal scharf aufpassen (macht Bewegungen mit der
rechten Schulter). Es ist mir so unbehaglich. Ich habe ein eigenartiges
Gefühl in meinem Körper. Ich werde wohl nichts mehr finden. Ich
habe das Gefühl einer Verrenkung (bewegt dauernd beide Schultern).
Ich glaube, es geht nicht mehr. Das ist eine Tierquälerei. Wir wollent
mal systematisch vorgehen. An der Lunge, am Magen, an den Nieren
und an der Leber finde ich nichts. Wenn es eines von diesen ist, dann
ist die Diagnose falsch. In den Eingeweiden* ist auch nichts. Es geht
Krankheit habe ich nie gehabt und werde sie auch n i e bekommen. Wir wollen
also das Gefühl, daß von mir auf Sie übergesprungen ist ganz ausschalten.
Bruck: Kommen Sie doch allmählich auf die Regionen des Körpers.
Med.: Was es ist, weiß ich nicht.
K r ö n e r (er übernimmt die Versuchsmappe von Dr. Bruck): Soll
ich den Versuch weiterleiten?
Med.: Ich-habe ein scheußliches Gefühl, aber kein Organempfinden.
Am Kerzen spüre ich auch nichts; nur habe ich das Gefühl von etwas
Verkrampftem. Ich möchte meinen ganzen Körper schief stellen.
Kr5öner: Es handelt sich um keine ausgesprochene Lokalisation,
sondern um ein allgemeines Leiden. Es fragt sich nun, in weJchem
System des Organismus die Lokalisation dieses Leidens sitzt. Ich möchte
noch hinzufügen, daß es etwas ist, was Sie noch nie diagnostiziert und
auch noch nie gesehen haben. Gehen Sie mal nicht die Regionen des
Körpers, sondern die einzelnen Gewebe durch, also Blutkreislauf, Lymphkreislauf
, Schleimhäute, Bindegewebe, Muskel, Knochen, Nervengewebe,
Haut, Gehirn, Sinnesorgane usw.
Med.: Von Sinnesorganen merke ich nichts, auch an den-Nerven
bemerke ich nichts, sie können aber in Mitleidenschaft gezogen sein.
Es muß etwas anderes sein.
Kröner: Handelt es sich bei diesem Leiden um eine Erkrankung
durch Selbstvergiftung oder durch eine Infektion.
Med.: Eine Selbstvergiftung ist es nicht. Das erste Gefühl, das
ich hatte, war, als ob etwas verzerrt wäre. Dann ging es mir du'rch den
Kopf, es müsse Krebs sein.
Kröner: Um Krebs handelt es sich nicht.
Bruck: Ist es eine leichte oder eine schwere Krankheit?
Med.: Sie ist nicht so leicht, aber furchtbar lästig. Man braucht
nicht gerade daran zu sterben, aber, wie gesagt, sehr lästig.
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