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540 Psychische Studien. L. Jahrgang. 12. Heft. (Dezember 1923.)
Zuständlichkeit eines anderen fernen Ichs, des „Gebers",
kund wird. Ob das Ober- oder ein Unterbewußtsein des
Gebers, also ein Seelenteil, oder geradezu seine Seele
als Eines agiert, bleibt dahingestellt; es scheint alles vorzukommen
. Nur im ersten Fall wäre das „Geben" bewußt
gewollt. Fast stets, obwohl nicht immer, wird „gegeben"
im Zustande hohen Affektes, wie großer Gefahr oder Todesnot
; meist wird affektiv nahestehenden Personen „gegeben
" 7). Die Art der Gebung kann von bloßer Ahnung
bis zur Vision alle Stadien durchlaufen; ein Affekt wird im
letzteren Falle in Anschaulichkeit gleichsam umgesetzt.
Beim Gedankenlesen ist, im Gegensatz zur eigentlichen
Telepathie, der Geber meist inaktiv, der Empfänger
aktiv; dieser „will*, daß ihm gegeben werde. Daher das
Wort Gedanken„lesen" oder auch Gedanken„abzapfen". Der
Empfänger, also der aktive a,Leser", ist meist nicht im
wachen, sondern im automatischen Zustand. Der inaktive
Geber kann in derartigem Maße bewußt inaktiv sein, daß
er überhaupt das, was ihm „abgezapft" wird, gar nicht
aktuell bewußt hat, obschon ihm gelegentlich auch das
aktuell bewußt Gehabte abgezapft werden kann. Meist wird
er, wenn aur ihm heraus gelesen wurde, was er nicht aktuell
bewußt hatte, hinterher sagen, daß er sich dieses SachjH
Verhaltes allerdings als eines richtigen, den er nur vergessen
habe, erinnere. Es kommen aber auch Fälle vor,
in dem ihm abgezapft wird, was er weder aktuell weiß,
paoch auch, unter noch so starken Hilfsmitteln, reproduzieren
kann, was er aber doch, wie sich unweigerlich zeigt,
einmal gewußt hat. Immer weiß, oder hat gewußt,
wenigstens irgendein lebendiger Mensch, was das
„Medium liest" mag auch oft die Abzapfung erfolgen nicht
aus denjenigen Personen heraus, die bei ihm sind, sondern
auch beliebigen anderen, oft in weiter Ferne.
Das „Lesen" seitens des, wie wir wissen aktiven, Empfängers
oder „Mediums" findet in den eigentlich klassischen
Fällen8) in sehr seltsamer Form statt, nämlich
in Form des Wissens um fremdes Wissen9), und zwar gibt
das Medium den „Fremden", um dessen Wissen es weiß,
für einen Verstorbenen („spirit") aus, nur in seltenen
Fällen sagt das Medium, daß es unmittelbar auch wisse,
was der, dem es abzapft, weiß.
Wir werden hierauf sogleich zurückkommen und sagen
einstweilen über Telepathie und Gedankenlesen nur das-
7) Viele kritisch durchgearbeitete Fälle im englischen Sammelwerk
Phantasm of the Living — (also nicht „of the Dead"!). Deutsch von
Feilgennauer unter dem Titel „Gespenster lebender Personen."
*) Proe. Soc. Psych. Res. 13 (Hodgson) und 23 (W. James).
9) S. o. S. 394.
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