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542 Psychische Studien. L. Jahigang. 12. Heft (Dezember 1923.)
Das dritte Indizium für die Richtigkeit der spiritistischen
Hypothese nennen die angelsächsischen Autoren The Minutes11
). Der durch dieses Wort bezeichnete Sachverhalt
ist dieser: Die Gesamtheit dessen, was ein im Trance-
zustand befindliches, Gedanken abzapfendes Medium automatisch
durch Schrift oder Sprache von sich gibt und für
die Eingebungen eines Verstorbenen hält, gibtinder Tat
Wesen und Benehmen diesesVerstorbenen bis
in die letzten Züge hinein wieder, bis in seltsame
Gewohnheiten, seltsame Ausdrucksweisen und dergleichen
hinein. Man kann hier mit der Annahme des bloßen Gedankenlesens
auskommen und wird das aus Gründen der
wissenschaftlichen Oekonomie auch zunächst tun, denn entia
non sunt creanda praeter necessitatem. Aber ^einheitlicher
wird, das gibt selbst James zu, alles auf Basis
der spiritistischen Hypothese12). Wer nämlich die „Minutes"
auf Grundlage bloßen Gedankenlesens (und dazu vielleicht
bloßer Telepathie) erklären will, muß die Hilfsannahmen
Imachen. daß das Medium sich aus allen möglichen ait-
wesenden oder abwesenden Menschen gerade nur das zu
dieser einen bestimmten verstorbenen Person Passende
bei seinem „Abzapfen" aussucht, wobei nicht nur der aktuelle
, sondern auch der latente, ja, sogar der gar nicht mehr
reproduzierbare Gedächtnisvorrat in Frage kommt, und daß
das Medium ferner das von allen (möglichen Seiten her
bruchstückhafte Zusammengeholte dann zu dem Wesen und
Benehmen einer „Person" richtig zusammensetzt, die es
in vielen Fällen gar nicht kannte.
Als B e w e i s der Aeußerung materienfreier Psychoide
könnte allenfalls ein Versuchsergebnis wie das folgende
gelten: Ein Lebender schreibt irgend etwas nieder, versiegelt
es und läßt es nach seinem Tode, dann, wenn er ,sich einmal
als „Geist" eines Mediums kundgibt, und auf Befragen»
den Inhalt des versiegelten Schriftstücks angegeben hat,
öffnen. Der Versuch ist meines Wissens dreimal ausgeführt;
jedesmal mit negativem Ergebnis, d. h. der angebliche
Kontroll„geist" des Mediums gab etwas an, was durchaus
nicht stimmte. Aber selbst bei positivem Ausfall dieses
Versuchs gäbe es vielleicht noch Bedenken gegen seine
Reinheit, d. h. dagegen, daß Hellsehen und früher, zu Lebzeiten
des „Geistes", erfolgte Telepathie gänzlich ausgeschlossen
gewesen sei.
Wir fassen nun zum Schluß noch einmal zusammen,
was in den parapsychologischen Sachverhalten an eigentlich
11) Deutsch: Die Einzelheiten.
12) James: Eigene Lebre von einem „Weltare dächtnis" oder ^psychischen
Reservoir", aus dem das Medium schöpfe, erklärt natürlich die auf eine
bestimmte Person zugeschnittene Auswahl des Geschöpften auch nicht.
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