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564 Psychische Studien. L. Jahrgang. 12. Heft. (Dezember 1923.)
Med.: Ich siehe direkt ein Loch. Es ist aber nicht groß.
Brustmann: Sehr richtig! Ist es entzündet?
'Med.* Ja, es läuft gelbes, eitriges Zeug heraus, das stark riecht.
Brustmann: Sehr richtig! Ist das Loch künstlich gemacht?
Med.: Ich glaube, daß etwas von selbst entstanden ist und darni
künstlich erweitert wurde, damit der Eiter herauskommt.
Brustmann: Können Sie mir sagen, was da gemacht worden
ist? Wenn Sie sich ein bißchen darauf konzentrieren, werden Sie mir
wohl angeben können, was dazu benutzt worden ist.
Med.: Ich sehe so etwas, was wie ein Kreuz aussieht, wie ein
Schnitt. Dann ist es so hoch gebunden, damit es In Spannung bleiben
kann, und dann wird manchmal etwas hereingeführt, damit es auslaufen
kann.
Brustmann: Können Sie auch sehen, was hereingeführt wird?
Med.: Eine Art Röhre, wie bei einer Fistel.
Brustmann: Richtig! Sehen Sie nun einmal auf das andere Bein
Med.: Da juckt es mich so (außenseits des rechten Unterschenkels
in halber Höhe der Wade). Ich möchte fortwährend kratzen.
Brustmann: Sind es etwa Krampfadern?
Med.: Ich weiß es nicht. Ich spüre auch hier etwas (rechtes Knie).
Damit kann man keine Landpartie machen.
Brustmann: Wo sitzt die Krankheitsursache?
Med.: Schweigt.
Brustmann: Sie haben es mir ja vorhin gesagt, aber ich möchte
gerne etwas Genaues wissen.*) l
Med.: Es scheint im Blut zu liegen. Ich weiß aber nicht, ob man
das medizinisch vertreten kann, wie ich das spüre.
Brustmann: Können Sie mir angeben, von wo die Krankheit
ausgeht? Sie zeigten es mir ja schon vorhin.
Med.: Von hier aus (Nierengegend).
Brustmann: Sagen Sie mir doch, in welchem Organ die Krankheitsursache
sitzt.
Med.: Es tut mir hier so wehe, hier am Knöchel (zwischen dem
rechten Spann und Knöchel).
Brustmann: Können Sie mir sagen, was das rechte Bein
macht. Ist es ruhig, oder bewegt es sich?
Med.: Es macht so ... (schlagende und zuckende Bewegungen).
Die Ursache muß jedoch am Ausgang des Rückgrates liegen.
Brustmann: Richtig!
Med.: Es ist wie eine Verhärtung, und diese teilt sich den Nerven
mit und dadurch schwellen die Venen an und gleichzeitig kommen die
nervösen Zuckungen (macht zuckende Bewegungen mit dem Arme).
Brustmann: Das Krankheitsbild ist vollkommen beschrieben.
Darf ich Sie nun um die Prognose fragen?
Med.: Es wird mal eine Besserung eintreten, aber dann kommt
rapid der Rückfall.
Brustmann: Wie lange wird das wohl dauern?
Med.: Nach meinem Gefühl etwa zwei Jahre. Diese Zeitangabc
kam mir ganz spontan.
Brustmann (diktiert die Epikrise): Es handelt sich um eine etwa
70 Jahre alte Frau mit starker Anschwellung der Beine und Schwellung
des Unterleibes. Sie befindet sich seit 14 Wochen in sitzender
Stellung. Sie kann nicht allein stehen und muß von einer bis zwei
Personen aufgerichtet werden und sinkt häufig zusammen. An den
beiden Füßen sind je vier Einschnitte gemacht worden, aus denen sich
eine wässerige Flüssigkeit ergießt. Die Wunden sind später entzündlich
und eiterig geworden und werden täglich verbunden. Die
*) Brustmann bezieht sich auf die anfangs demonstrierte Haltlosigkeit
in der Lendenwirbelsäule.
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