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568 Psychische Studien. L. Jahrgang. 12. Heft. (Dezember 1923.)
Analyse.
Fall 1.
Dieser Versuch war wiederum mehr als telepathischer gedacht,
da die Fraktur ziemlich verheilt war und keine besonderen Beschwerden
mehr machte. Wie weit sich die anfangs geschilderten nervösen und
Magensymptome tatsächlich auf die Konstitution des Patienten beziehen,
oder ob sie als Veriegenheitsdiagnose aufzufassen sind, muß dahingestellt
bleiben.
Nach längerem vergeblichen buchen und mehreren Zwischenfragen,
bei denen Suggestivbeeinflussung nicht sicher ausgeschlossen werden
kann, wird erst Alter und Geschlecht des Patienten, etwas später Orr
und Art der Erkrankung präzise angegeben. Diese beiden entscheiden*
den Daten halte ich für begriffstelepathisch bzw. visuelltelepathisch
übertragen. Suggestivbeeinflussung kann hierbei nicht vorliegen, obwohl
anderweitig suggestive Fragen gestellt worden sind. Das genaue
Alter ebenso wie der Begriff einer Querfraktur oberhalb des rechten
Handgelenks konnte weder aus den suggestiven Fragen noch aus
etwaigen unbewußten Zustimmumgs- oder Ablehnungsbewegungen des
Experimentators herausgelesen werden. Selbst wenn man annimmt,
daß bis zum Augenblick, wo das Medium nach den Unter- auf die
Oberextremitäten sich einstellt, suggestive Führung bestanden habe,
so bleibt doch zu bedenken, daß es auch jetzt noch die Wahl zwischen
zahlreichen Lokalisationen und Krankheiten gab, für deren Entscheidung
keine suggestive Hilfen mehr möglich waren. Der Fall — klinisch sehr
einfach — war für das Medium ungewohnt (da er dem Zweckgefühl,
das es mit der Diagnosestellung verbindet, widerspricht) und daher
schwierig. Die Diagnose — technisch mit diversen Schönheitsfehlem
behaftet — zeigt den mühsamen Ablauf der demonstrativen wie der
telepathisch angelegten Fälle. Seine Beweiskraft — im Rahmen des
Ganzen zweifellos vorhanden — ist für sich und skeptisch betrachtet,
btrittig
Fall 2.
Diesei Versuch ist ziemlich wertlos, da Experimentator im entscheidenden
Moment eine sehr eindeutige Suggestivfrage stellt. Immerhin
wird dann das richtige Auge getroffen und aus den vorhandenen
noch ziemlich zahlreichen Möglichkeiten das Symptom der Trübung
->s Wtgwischenmüssens richtig erkannt, so daß aucn hier reines Erraten
unwahrscheinlich ist. Uebrigens auch, wegen der rechtsseitigen
Schwachsichtigkeit des Mediums, ein unglücklich gewählter Fall. Gewisse
konstitutionelle Symptome — der Druck im Hals, die Herznervosität
, das Vorhandensein von Nervenknoten an Hals und Kopf —
lassen sich nachträglich identifizieren, sind aber nicht prägnant genug,
um als beweiskräftig zu gelten.
Fall 3.
Ein Teiepathieversuch, der erst nach reichlichem Hin und Her und
nach erfolgtem Wechsel in der Versuchsleitung zum Erfolge führt
Frau F. spricht anfangs von etwas Zusammengekrampftem, Verzerrtem,
was vielleicht auf die nervösen Symptome der Lepra bezogen werden
kann. Die entscheidende Frage, die ich stellte, war:,, Wo und in
weichen Gewebspartien spüren Sie die Krankheit hauptsächlich?" Man
wird zugeben, daß dies keine Suggestivfrage, sondern eine Konzentrationsfrage
ist, die noch eine große Anzahl von Möglichkeiten so-
uohl hinsichtlich des Charakters der Erkrankung als auch bezüglich
der Lokalisation offenläßt. Dte Antwort, die darauf folgt, ist ebenso
unerwartet (ich hatte lediglich an die Haut gedacht) als zutreffend:
„Nicht im Bindegewebe, vielmehr direkt zwischen Bindegewebe und
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