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Beilage zu „Psych. Studien".
(50. Jahrgang.)
Altes und Neues aus der Welt der Träume«
Von Dr. med. Franz Freudenberg.
Verfolgen wir die Traumwertung im Spiegel der Zeiten
und Völker, so tut sich vor uns ein gewaltiges Stück Kulturgeschichte
auf.
Wie wir noch heutzutage bei den Maturvölkern die
Träume als von Geistern beeinflußt aufgefaßt sehen, so
erblickte auch das ganze Altertum in ihnen überirdische,
göttliche Kundgebungen. 1
Besonderer Wertschätzung erfreuten sich die Träume
bei den Chaldäern und den von ihnen kulturell beeinflußten
Völkern Asiens. Traumdeuter waren bei ihnen die Priester,
welche, als von der Gottheit inspiriert, aus den Träumen
die Zukunft enthüllten. Dasselbe finden wir bei den Aegyp-
tern, bei den Kelten, sowie bei unseren germanischen Altvordern
. Eines besonderen Rufes in der ganzen antiken
Welt erfreuten sich die griechischen Orakel. Bei den Römern
bildeten die Traumdeuter gleichfalls eine besondere
Kaste. Das Alte Testament wimmelt von weissagenden
Träumen. Denken wir nur an Josef und an Daniel. Auch
im Neuen Testament fehlen die die Zukunft voraussagenden
Träume nicht.
Ihre Wertung verdankten die Träume der vorausgesetzten
prophetischen Eigenschaft derselben. Im Mittelalter
trat ihre Bedeutung merklich zurück, da in ihm die
Astrologie (gleichfalls dem Altertum, wenn auch auf dem
Umwege über die Araber entnommen) unumschränkt
herrschte. Sie genügte, die Zukunft zu entschleiern. Sie
war unfehlbar und bestimmt, der Traum neben ihr ungewiß
und trügerisch. Möge es mir gestattet sein, dem Wortlaute
* nach anzuführen, was* am Ausgang des Mittelalters Para-
oelsus über die Träume zu sagen weiß. Wobei sich dieser
keineswegs als der verrufene Obskurist, vielmehr als eine
Art „Aufklärer" herausstellt.
„Der geistlichen*) Gesichten und Erscheinungen im
Schlaf sind zweierlei, natürliche und übernatürliche. Natürlicher
Gesichte und Erscheinungen im Schlaf und Traum
gibt es vielerlei, doch tut es nicht not, davon viel zu reden,
weil sich solches alle Tage zuträgt. Etwa aus Traurigkeit,
Schwermut oder Unreinheit des Geblütes oder aus eigensinnigen
Gedanken, d. h. aus Arbeit* des Gemütes und womit
der Mensch bei Tage umgeht und dessen sein Herz
*) Hier im Sinne von geisterhaft, im Gegensatz zu leiblich.
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