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— VI -
man sich nur derjenigen Träumphase, mit der man gewissermaßen
erwacht. Und doch sagt einem eine unbestimmte
Erinnerung, daß dies nur eine Episode eines weit
ausgesponnenen Traumes ist. dem es aber nicht gelingen
will wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Traumteile, die
man noch beim Uebergang vom Schlaf zum Erwachen,
während des Halbschlafes, fest in der Hand zu haben
glaubt, entgleiten in geradezu verdrießlicher Weise, sobald
man völlig erwacht ist und sie feststellen will. Auch ist das
im ersten Augenblick des Erwachens noch Lebendige bisweilen
schon unmittelbar darauf wieder verschwunden. Man
gewöhne sich daher, wenn man sich über seine Träume im
Ernste Rechenschaft geben will, Bleistift und Papier neben
seinem Bette zur Hand liegen zu haben. Ueberhaupt sein
Gedächtnis in bezug auf Wiedergabe von Träumen zu
stärken. Ausdauernde Bemühung vermag hier viel. Die
Sache ist es wert, nicht zum wenigsten der Selbsterkenntnis
wegen, vor allen Dingen aber im Interesse der wissenschaftlichen
Erkenntnis.
Ein anderes ist die Erinnerung eines Traumes und das
Erkennen eines Traumes. Bei einem banalen Traum, daß
man dies oder jenes gesagt oder gehört habe, daß uns
dieser oder jener begegnet sei und dergl., einem Traum,
wie er bei Personen beschränkten oder unkultivierten Geistes
an der Tages- bzw. Nachtordnung ist, fällt das freilich zusammen
. Ganz anders aber hegt die Sache bei komplizierten
Träumen, zumal bei symbolischen, wo ein beliebiger
Gegenstand einen Körperteil, eine Person die andere, eine
Farbe eine Sache, ein Hochzeitsmahl eine Todesahnung
bezeichnen kann. Hier also heißt es deuten, auslegen,
um den wahren Sinn des Traumes zu verstehen. Und das
ist eine Kunst, die eine gewisse Begabung voraussetzt.
Die in jedem Falle aber Uebung und Ausdauer im Studium
verlangt. Während das ganze Streben der Alten darauf
gerichtet war, aus dem Trauminhalt die darin vermutete
Zukunftsoffenbarung herauszuschälen, sieht die moderne
Wissenschaft im Traum eine andere Offenbarimg. Eine
Offenbarung der geheimsten menschlichen Seelenregungen,
die sich aber selbst nicht einmal frei und offen an das
Dämmerlicht des Traumes heranwagen, sondern auch hier
noch sich hinter scheinbar nichtssagende oder gar irreführende
Symbole verstecken. Mit Fug und Recht hat sich
daher in jüngster Zeit eine neue Spezialwissenschaft zwecks
Traumdeutung und Erforschung des Seelenlebens bei krankhaften
Zuständen entwickelt, die man als Psychanalyse bezeichnet
. Sie besitzt bereits namhafte Vertreter, die indes
nicht alle die gleichen Wege gehen.
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