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unterbaut werden müsse. Die Seele kann, das war auch
Herders Ansicht, nichts aus sich spinnen oder aus sich
träumen, wovon kein Analogon in ihrem Körper vorhanden
ist. Wäre in unserem Körper nicht Licht und Schall,
hätten wir von keinem Licht oder Schall in der Welt Empfindung
. Damit sagt er sich von der „ Formular Philosophie"
Leibnizens los, „die alles aus sich, aus innerer Vorstellungskraft
der Monade her aus windet." Und folgendermaßen stellt
sich ihm die psychische Welt dar. Ein Meer von Wellen
umbrandet beständig unsere Sinne. Doch würde kein
Gegenstand zum Sinn und kein Sinn zu einem Gegenstand
gelangen, ohne eine eingehende Kraft, ein Medium, dessen
Beschaffenheit uns unbekannt ist1) das sich aber in Aeuße-
rungen kundtut, z. B. dem Auge in der Form des Lichts,
dem Ohr in der Form des Schalles sich zeigt. Schon vor
der Geburt ist dies Medium wirksam, weshalb Herder die
„platte" Meinung John Lockes ablehnt, daß die Menschenseele
als leeres, unbeschriebenes Blatt ins Dasein trete.
Das Kind sei vielmehr eine Knospe, in der der ganze Baum
eingehüllt lebe. Dank dieser geheimnisvollen Vermittlung
löst die Umwelt in unseren Sinnen Reize aus, die ersten
Fünklein der Empfindung. Ihre Analyse ist unmöglich.
Es sind dunkle unbewußte Kräfte, die sich da regen. In
ihrem Abgrund liegt aber der Same zu aller Leidenschaft
und Unternehmung. Ein« Mehr oder ein Weniger von
Reizen macht Helden oder Feiglinge. Zu diesem Grunde
hinzustreben, heißt die Menschenseele studieren. Den normalen
„hellen und klaren" Psychologen graut es freilich
vor solcher Aufgabe; er redet von „untersten" Seelenkräften
und mag nicht in deren Hölle hinabsteigen. Ein
Meister in diesem Hinabdringen war Shakespeare. Vor
allem ist hier der Arzt kompetent. Der Vorsteher eines
Toll- oder Siechenhauses gäbe die frappantesten Beiträge.
Krankheiten, Visionen, Träume verraten, was in uns schläft.
Die Tiefe der Seele ist eben mit Nacht bedeckt.
Die Eindrücke der verschiedenen Sinne fließen in uns
zusammen. Im Nervengebäude werden sie zur Einheit
verschmolzen und für den Geist zubereitet, gleichsam
in seine Natur verwandelt. Die Empfindungen treten
in sein Bewußtsein. Er erkennt. Dies geschieht mit
Hilfe der Sprache. Der Mensch gafft so lange nur Bilder
und Farben, bis er spricht, bis er inwendig in feiner
*) In dieser Theorie zeigt sich Herder als Vorläufer der modernen
okkultistischen Problemstellung Seine mediale Substanz gleicht der indischen
Akaaha, die sich m den Tattwa modifiziert. — Vgl. K. Brandler-
Pracht, Tattwische und astrale Einflüsse. Berlin-Pankow 1920.
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