http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1923/0625
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Seele*) nennt. Der Prozeß des Erkennens gipfelt im
Wollen. Wie könnte man das Gute erkennen, ohne es
zu lieben und zu wollen? Aus dem Gefühl steigt das
Wollen auf. Aber die letzte Ursache ist das Erkennen.
Im Erkennen liegt schon keimhaft der Trieb zum Wollen.
Es ist ein und dieselbe Energie der Seele, die erkennt
und will. *)
So erscheint Herder das Gerede vom „reinen", sinnlich
unvermittelten Denken als Trug und Spiel. AU unser
Denken, lehrt er, ist aus und durch sinnliche Empfindung
entstanden. Damit hat er die Realität der Körperwelt
bejaht, dabei jedoch die Seele nicht in dem Sinne von ihr
abhängig gemacht, daß sie nur eine Funktion der Materie
darstellte. Er hält ebenso wie an der Wirklichkeit des
Körperlichen, an der Selbständigkeit des Geistigen fest.
Aber er sieht nirgends in der Natur zwischen Materie und
Geist eiserne Bretter. Auf Vorgängen der Sinnenwelt basiert
alles seelische Leben. Aber bereits das Reich der Reize
und Sinne ist für Herder geisterfüllt. Leib und Seele
stehen bei ihm nicht dualistisch geschieden nebeneinander,
bilden auch nicht nur, wie Leibniz wollte, eine metaphysische
Einheit, jene prästabilierte Harmonie, zu der Gott
beide wie zwei Uhrwerke aufeinander abstimmte. Sie
bilden vielmehr eine dynamische Einheit, sind Glieder einer
Entwicklungsreihe, die von derselben göttlichen Krafts) gewirkt
wird. Es weht uns hier die Luft des spinozistischen
Monismus entgegen, den im 19. Jahrhundert Theodor Fech-
ner zur Lehre des psycho-physischen Parallelismus f3rt-
bildete. Danach sind die materielle und die seelische Welt
nur verschiedene Erscheinungsformen eines und desselben
Seienden. Indem aber Herder von Leibniz zu Spinoza
abrückt, hat er Leibniz durch Leibniz modifiziert. 4) Denn
aus allen seinen psychologischen Ausführungen erklingt das
*) Es ist also nicht an die Tätigkeit der Spreeborgane gedacht, sondern
an eine noch rein innerlich*» Unterscheidung zwischen verschiedenen Sinneseindrücken
, an Worte im S'nne von Begriffen.
2) Von da aus nimmt Herder Stellung zum Problem der "Willensfreiheit
und begründet die Gebundenheit des Willens. Er bekennt sich zu Luthors
Schrift De servo arbi*rm und formuliert den schönen Satz: Der erste Keim
zur Freiheit ist das Gefühl, daß man nicht frei ist.
8) Vgl. die Universalkraft der indischen Vedanta, die „Prana" genannt
wird.
4) „So sorgsam Leibniz Körper und Geist schied, so wahr und fest
band er beide durch die sogenannten dunklen Begriffe (notiones confusas)
aneinander und unsere Seele ans gesamte Universum. Wie Nebe Sterne
durchs Fernrohr sich in Milchstraßen auflösen, so entwickelt s'ch aus
donk en Bnn-nndongen eine Welt vo 1 Gegenständen, Farben, Tönen, sobald
sich der Verband zu ihrer Erkennung ein Werkzeug zu verschaffen
weiß." Metakritik 1799.
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