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6 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 1. Heft. (Januar 1924.)
Verstorbenen, denn nur dieser pflegte dias Familienhaupt in
dieser Weise anzureden. Diese Anklage fiel ihnen so schwer
aufs Gewissen, daß sie noch in derselben Nacht sich entschlossen,
samt und sonders zum Christentum überzutreten. Sie hoben die
Kranke auf, trugen sie in das nahe Pfarrhaus und erklärten
ihren Übertritt, und als dieser vollzogen, war und der Pfarrer
mit ihnen gebetet hatte, hörte die Besessenheit bald auf. Der
Pfarrer Immanuel Flirtado unterrichtete sie und ich taufte sie.
In diesem Falle hatte die Besessenheit unter Gottes Leitung
einen herrlichen Sieg zur Folge, der offenbar auch dem Verstorbenen
zugute kam.
Unser nächster Nachbar auf unserer Missionsstation Basrur,
Südkanara, in Ostindien, war ein Götzenpriester naimens
Tscheradappatschari, ein intelligenter Mann, der durch meine
Vorgänger und mich mit dem Christentum ziemlich bekannt gemacht
worden war, aber es immer von sich wies mit den Worten;
„Eure Religion ist gut für euch und die unsere für uns." Sem
fortgesetztes Sünden- und Lasterleben brachte ihn frühzeitig aufs
Kranken- und Sterbelager. Drei Tage vor seinem Tode fing er
mit einem Male an zu schreien: „O wehe! 0 wehe! Die Teufel
sind gekommen, um mich zu holen. Ach errettet mich doch aus
den Händen der Teufel! O wehe! Sie haben mich gepackt und
schleppen mich mit fort! Bitte, bitte errettet mich doch aus den
Händen der Teufel!" Jeden der in seine Nähe kam, selbst kleine
Kinder, flehte er in dieser Weise an, ihn zu retten. Seine kleine
Nichte, die m meiner Frau in die Nähstunde kam, erzählte
gelegentlich auch von dem schrecklichen Ende ihres Onkels, das
eigentlich nur der Anfang ist des Schreckens ohne Ende.
Die Frau eines heidnischen Forstbeamten in Kundapur, dem
Filial meiner damaligen Station Basrur, war, wie er und andere
mir sagten, besessen von dem abgeschiedenen Geist seiner ersten
Frau, die von Zeit zu Zeit aus ihr heraus redete.
Pfarrer Nahasson Vira, einer unserer gediegensten und
treuesten Mitarbeiter aus den Eingeborenen, erzählte mir unter
anderen merkwürdigen Begebenheiten auch folgende: Aus einer
BrahmanenfamiMe in unserer Nachbarschaft starb die etwa
vierzehnjährige Tochter Lakschmi. Nicht l&nge nach ihrem Tode
wurde eines Tages ihr Bruder besessen. Die Angehörigen fragten
den Geist: „Wer bist du?" Er antwortete: „Ich bin die Lak-
schmi." — „Warum bist du denn gekommen?" — „Ich bin
nur gekommen, um euch zu sagen, daß, obwohl ich gestorben
bin, so bin ich doch noch da." — „Wo bist du denn seither
gewesen?" — Ich habe mich seither da drüben in der
Manolidombha (einer Art Gartenlaube) aufgehalten und
gehe wieder dahin, und wenn ihr etwas von mir wollt,
dann dürft ihr mir rufen, dann komme ich." Einige Zeit
danach bekam diese Familie die Nachricht, es sei in Mudlapädi,
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