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16 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 1. Heft. (Januar 1924.)
gegen alle Experimentatoren, man gestatte mir hier den Ausdruck
und nelime ihn wörtlich, „geladen" sind, kommt in diesem Falle
noch das soziale Moment hinzu. Herr G. ist oder war damals Arbeiter
auf einer großen Fabrik. Fraglos mußte die engere Berührung mit
der höheren sozialen Schicht in der durch die Umstände bedingten
Form diese Ladung unbewußt verstärken. Es sei noch überdies darauf
hinge wiesen, daß die Stärke der Ladung noch dadurch bedingt sein
wird, wie sich die Teilnehmer rein menschlich — für das Medium
fühlbar — zu ihm stellen. Die erfolgte Reaktion war eben meiner
Auffassung nach eine vom Unterbewußtsein diktierte Entladung.
Des weiteren sprach Herr Dr. S., der aucl1 mit Herrn G. und
anderen Medien experimentiert hatte, vor kurzem mir gegenüber die
Ansicht aus, daß Herr G. schlechte Kräfte habe, da bei ihm ab und
zu Tiergestalten maierialisiert erscheinen, welche auch nisweilen aggressiv
gegen die Teilnehmer vorgegangen sind. Tatsächlich berichtete
mir Herr Ingenieur Grunewald, daß er jetzt in Warschau bei einer
Sitzung mit G. einen Hund habe herumlaufen und bellen hören. Ich
halte es für erforderlich, hier meine Auffassung anzufügen, daß solche
schlechten Geister oder Kräfte wohl in einem jeden Menschen stecken.
Die prinzipielle große Bedeutung dieser Phänomene ist ja unbestreitbar
.
Als ich am l\. September um 6 Uhr zur ersten Sitzung in Warschau
zu Frau W. in die Wohnung kam, welche ein gutsituiertes Milieu
aufwies, fand ich einen Herrn vor, dessen äußere Aufmachung und
dessen Gesichtsausdruck mir nicht ganz in dieses Milieu zu passen
schienen. Ich glaubte zuerst den Hausherrn im Sinne von Neureichs
vor mir zu haben, erfuhr jedoch, daß es das Medium war. Nun
fiel mir Dr. v. Schrenek-Notzings Rat ein, mich mit dem Medium)
gleich von Beginn an in eine russische Unterhaltung einzulassen, um
eine psychisch günstige Einstellung zu erreichen. Nach allem im vorhergehenden
Geschilderten war mir klar, daß ich vor einer Aufgabe
stand, welche für die Einstellung der unterbewußten Kräfte des Mediums
mir gegenüber bestimmend war. Meine Ansprache handelte
denn auch in vertraulichem Russisch von seiner Petersburger Tour,
von deren Erfolg ich von mehreren Seiten gleichlautendes gehört
hatte, und benutzte ich überhaupt jede Gelegenheit, um während der
Silzungspausen durch die soziale Differenz Mcht auftauchende Spannungen
duich entsprechende, oft belanglose Dinge berührende Unter-
hallung auszugleichen. Herr J., eine in metapsychischen Kreisen als
erfolgieicher Experimentator mit polnischen Medien bekannte Persönlichkeit
, der auch die Sitzungen mit dem Medium G. organisiert
hatte, wurde auf meine Gespräche aufmerksam, freute sich, daß ich
gut Russisch sprechen könne und behandelte mich im weiteren Verlauf
als dem Medium genehme Persönlichkeit. Als die Sitzung begann,
wurde ich links neben das Medium gesetzt, und erwartete ich, daß die
schlechten Kräfte, z. B. wohl auch der am Tage vorher erschienene
Hund, nicht auftreten würden.
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