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Tischner: Der Okkultismus im Verhältnis zu Irrationalismus u. Mystik. 37
gen. — Auch ein Kenner wie Dessoir scheint mir die Lage
falsch zu zeichnen; wenn man sein Buch „Vom Jenseits der
Seele" liest, so bekommt man vielfach den Eindruck, als ob die
Tatsachen, falls man sie als Tatsachen einmal anerkennt, zum
„magischen Idealismus" fuhren müssen. Das scheint mir aber
bisher durchaus unerwiesen zu sein; gewiß ist der Okkultismus
vielfach aus sachlichen und historischen Gründen mit mystischen
und magiischen Gedankengängen verknüpft, aber es wäre erst zu
erweisen, daß diese Verknüpfimg notwendig und wirklich in dem
Wesen der okkulten Tatsachen begründet ist.
Der moderne naturwissenschaftlich - rationalistisch gerichtete
Forscher und Laie bringt deshalb vielfach dem Okkultismus ein
vollgerüttelt Maß von Mißtrauen entgegen, weil er der Meinung
ist, daß das Gebiet rational nicht zu fassen ist und diese Irrationalität
ist ihm verdächtig und unsympathisch.
Es scheint mir darum am Platze zu sein, einmal zu untersuchen
, ob der Okkultismus wirklich irrational ist und wie seine
Beziehungen zu den anderen Gebieten sind. Dabei scheint es
anir zweckmäßig zu sein, erst einmal darüber klar zai werden,
wie weit die Ansprüche des Rationaliemus berechtigt sind, und
ob der Vorwurf der Irrationalität überhaupt etwas gegen eine
Tatsache beweist, ob mit anderen Worten die Welt durchgehends
rational ist.
Mau könnte vielleicht den Menschen als das Lebewesen des
„Warum?" bezeichnen, wir* sind gewohnt immer nach der Ursache
, dem Grunde eines Geschehnisses zu fragen, wir wollen
eine Erklärung unserer Umwelt und ihrer Ereignisse. Dieser
Kausalitätstrieb unterscheidet uns vom Tiere, das höchstens
instinktiv auf einen Reiz hin danach sucht, woher diese Veränderung
in seiner Umgebung kommt, indem es z. B. auf ein Geräusch
den Kopf wendet, von kausalem Denken sind höchstens
die Ansätze vorhanden. Der Kulturmensch will für alles eine
Erklärung, er fragt, was ist die Ursache davon, daß eben ein
Stein den Abhang neben mir herunterrollt, warum schließt die
Blume jetzt ihre Blüte, und warum folgt auf den Blitz der Donner.
Er fragt sowohl nach der Ursache der Eimzelerscheinung, etwa
das Herabfallen des Steines als auch danach, warum überhaupt
ein Stein fällt, wenn er seine Unterlage verliert. Ersteres sollte
man mit Driesch vielleicht besser „kausal beziehen" nennen,
letzteres ist der Ansatz für die echt kausale Erforschung des
Naturgesetzes. Aber nicht nur hier fragen wir nach dem
„warum", wir fragen auch nach der Ursache einer Kulturerscheinung
, wir fragen also etwa, warum die Stadtanlage von Karlsruhe
so gänzlich anders ist «als die Nürnbergs und fühlen uns
erst befriedigt, wenn wir erfahren, daß Karlsruhe eine Fürstengründung
ist, bei der nach vorbedachtem Plan die Stadt in Be-
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