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Tischner : Der Okkultismus im Verhältnis zu Irrationalismus u. Mystik. 41
auch milzbrandkrank machen könnten. Carus nennt hier also
etwas „magisch", was wir heutzutage durchaus nicht sonderlich
wunderbar finden, nachdem die Forschung in sorgfältiger Analyse
dieser und ähnlicher Erscheinungen gezeigt hat, daß der Milz-
brandkrankheit ein Bazillus zugrunde liegt, der in dem Blut mit-
tibertragen wird und sich weiter vermehrt. Solche und ähnliche
Vorkommnisse warnen natürlich davor, allzu voreilig zu sagen,
eine Erscheinung sei rational nicht zu begreifen; was heute noch
nicht erklärt ist, kann es morgen in einer Art und Weise werden,
von der wir noch keine Ahnimg haben. Auf solche Fälle wird
der Rationalist verweisen, um zu zeigen, daß er auf dem rechten
Wege sei.
Ehe wir weiteren, erhebt sich aber die Fmge: ist denn der
Rationalist überhaupt berechtigt, von vornherein anzunehmen,
daß die Welt rational durchschaubar ist. Das ist nun aber meiner
Meinung nach eine völlig unbewiesene Behauptung, wie in der
Wissenschaft und auch in der Philosophie so viele umlaufen. Weil
in unserer Umgebung so vieles rational begreiflich wird, so setzt
man einfach voraus, daß das auch von der ganen Wirklichkeit
gelte. Mit welchem Recht? Wir kleinen Menschlein bilden solch
winzige Punkte im großen Ozean der Wirklichkeit, daß man die
durchgängige Rationalität der Welt mit demselben Rechte behaupten
könnte, als eine Spinne in einem Stubenwinkel behaupten
könnte, es gebe in der ganzen Stube nur Dinge, die sie in
ihrem Netz „begreifen" könnte, nämlich ein Netz, Fliegen und
ein paar Wände sowie Luft und licht. Wenn man die durchgängige
Rationalität der Welt behauptet, so gleicht man dem
Manne, dem man eine Reihe Geldstücke hinlegt und der dann
«anfängt zu zählen und nach einiger Zeit meint, bis jetzt habe
alles gestimmt, so werde wohl auch der Rest stimmen. An uns
vorbei zieht ein Geschehen unendlich in der Vergangenheit und
in der Zukunft und unendlich nach allen Seiten, da kommt der
Physiker und zeigt, daß man den uns umgebenden Ausschnitt
dieses Geschehens vielfach berechnen könne, hat er deshalb ein
Recht zu sagen, also können wir auch das übrige berechnen und
das Ganze ist nur eine Maschine? Das ist gewiß voreilig, ja von
vornherein unwahrscheinlich, so unwahrscheinlich, daß wir sogar
berechtigt sind, ihm die Last des Beweises für seine Behauptung
aufzubürden. Ja bei Licht besehen ist es sogar eines der größten
Wunder, daß überhaupt die Möglichkeit besteht, die Welt zum
Teil rational aufzufassen, daß wir die Grundbegriffe unseres
Denkens in der Außenwelt bestätigt finden und wir die ja nicht
aus der Erfahrung stammenden mathematischen Axiome auf die
Außenwelt anwenden können und in ihr bestätigt finden. Ohne
auf diese Frage hier weiter eingehen zu können, geht jedenfalls
aus allem hervor, daß die Voraussetzung des Rationalisten auf
schwachen Füßen steht und sie des Beweises recht bedürftig M.
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