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Vom Büchertisch.
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nicht annehmen möchten. Oder ist auch das nur ein vorläufiger bildlicher
Ausdruck?
Es ist Herrn v. Schrenck-Notzing sehr zu danken, daß er
die Uebersetzung des Rieh et sehen Werkes angeregt, Herrn Lambert
, daß er sie ausgeführt hat. Möge nun auch das Werk von
Mackenzie einen Uebersetzer finden, und ebenso Oeleys schönes
philosophisches Buch De l'Inconscient au Conscieni
Alle diese Werke gehören zur parapsychologischen Siandardiileratur
— trotz Herrn Moll und seiner Anhänger. Hans Driesch, Leipzig.
Hayek, Max. Das Geheimnis der Schrift. Eine Studie über
den Graphologen Rafael Schermann. Verlag der Wiener Graphischen
Werkstätte, Wien-Leipzig, 1923.
Der Verfasser behandelt die Leistungen des Wiener Graphologen
Rafael Schermann, Leistungen,, die weit über das bisher geläufige Maß
hinausgehen. Zwar ist Schermann ursprünglich nichts anderes als bewußter
Handschriftendeuter, zwar ist er selbst stets der Meinung,
nichts anderes zu tun als Handschriften zu analysieren. Doch handelt
es sich bei ihm um eine intuitive Schau der gesamten Persönlichkeit
mit ihrem Charakter, ihren Fähigkeiten und Fehlern, ihrem vergangenen
und eventuell künftigen Schicksal. In Wirklichkeit ist daher
die Schrift für ihn nur ein Mittel zur vollkommenen Einfühlung in die
Persönlichkeit, ein Schlüssel, der ihm ihre tiefsten Geheimnisse eröffnet
und ihn eventuell sogar mit anderen Personen aus ihrem Kreise in
Kontakt bringt.
„Wenn ich eine Schrift ansehe," so sagt Schermann einmal, „lösen
sich oft die Buchstaben, das Blatt Papier wird mir zum Spiegel, darin
ich Figuren erscheinen und sich bewegen sehe, wie auf einem Film."
Aber schon in seiner bewußten Handschriftenanalyse geht Schermann
weit über die anderen Graphologen gestehen Grenzen hinaus.
Er findet nämlich häufig eigentümliche Schnörkel, de von oben oder
von der Seite gesehen einenden Schreiber beherrschende Idee versinnbildlichen
. Die Unterschrift eines Selbstmordkandidaten zeigt an
einer Stelle deutlich äas Bild eines Revolvers; an der Schrift einer
Kindesmörderin unterscheidet Schermann Schnörkel und Figuren, die
ihm Einzelheiten der Tat verraten; die Pläne eines Weltumseglers
drücken sich in schiffartigen Umrissen aus, usw. Es handelt sich hier
offenbar um eine ähnliche symbolisierende Tätigkeit unseres Unterbewußtseins
, wie sie im Traum zutage tritt.
Noch verblüffender aber sind die Fälle, wo eine direkte Deutung
der Handschrift nicht mehr stattfindet, wo die Handschrift zum
Schlüssel der Persönlichkeit wird, aus deren innersten Tiefen Scher-
mann nach Belieben schöpfen kann. Besonders erfreu ich ist es, wenn
seine Prognosen für die Zukunft nicht den unabänderlichen Spruch des
Schicksals darstellen, wenn sie vielmehr den Schreiber warnen und
von gewissen Tendenzen abbringen sollen, die sonst unvermeidlich zur
Katastrophe führen müßten. Das Hayeksche Buch erzählt von mehreren
Fällen, wo Mord und Selbstmord verhütet, von anderen wieder, wo
persönlicher Kummer durch die bestimmte (und später bewahrheite)
Voraussage einer günstigen Wendung gemildert wurde. Auch krankhafte
Veranlasrungen und Krankheiten treten für Scherrnann in ihren
frühesten Anfängen zutage und seine frühzeitigen Diagnosen sichern
in sonst verzweifelten FaJen oft die Heilung.
Aber nicht nur die Persönlichkeit nach der Handschrift zu erkennen
, auch die umgekehrte Aufgabe der Rekonstruktion der Handschrift
aus der Befrachtung der Person vermag Schermann zu lösen,
ja, ein Blick auf die Photographie einer unbekannten Persfin'ichkeit
genügt zur Ergründung ihrer Haidschrift und der Vergleich zwischen
Rekonstruktion und Originalschrift zeigt in a'IeT wesentlichen Einzelheiten
verblüffende Uebereinstimmung. Dr. A. O r a d e n w i t z.
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