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66 Psychische Studiert LI. Jahigatig. 2. Heft. (Februar 1924.)
spielte in seinem Leben keine Rolle. Led glich sein moralisches Pflicht-
wertbewußtsein erhob ihn über die Aufklärung. Der neuen Lebens-
riebtung, der klassischen Dichtung und deren Weiterwirken in der Romantik
gemeinsam ist eine überutilaristische und überrationale Lebensführung
, die nichts zu tun hat mit den Werten der Nützlichkeit,
der Kantisch Friedericianischen Pflichtdiszmlmiertheit."
Den Übergang zu diesem System des Idealismus bildet Fichte,
der noch stark in der Gefühlswelt der moralischen Pflichterfüllung
steht, aber schon einen Hang zur Spekulation zeigt und die übrigen
Kulturgebiete hoch bewertet. In Sc he Hing und Schleior-
m ach er lebt ein tiefes Gefühl der Religiosität mit dem Bewußtsein
des Wertes menschlicher Eigenart und der Bedeutung der Kunst für
die Philosophie.
Der universellste, die eigne Subjektivität durch Hingabe an die
gesamte historische Geisteswelt gleichzeitig erweiternde, zurückdrängende
und überwindende Denker ist Hegel gewesen. Er nimmt in
seiner objektiven, wahrhaft philosophischen Geistesverfassung alle
Werte in sein System auf, während 3 che Hing hingerissen wurde
von dem Gedanken, wie dem Werterlebnis des Augenblicks. Die philosophische
Arbeit jener Generation ist von dem Streben nach dem Ergreifen
des metaphysischen Sinns der Wirklichkeit
getragen.
Der letzte bedeutende Denker in der Kette der metaphysischspekulativen
Systeme ist Schopenhauer, trotzdem er durch seine
Lebens- und Weltverneinung im Gegensatz stand zum Geist jener
Epoche.
Die. Philosophie in der Mitte des 19. Jahrhunderts (i83i bis 1870)
vom Tode Hegels an büßte ihren Einfluß auf das Kulturleben immer
mehr ein. Sie sank im öffentlichen Ansehen bis zum äußersten Tiefstand
. Man wurde des gesteigerten Idealismus und der metaphysischen
Spekulation müde und verlangte nach substantiellerer Geistesnahrung.
Dieselbe wurde durch die damals mit Riesenschritten fortschreitende
Naturwissenschaft geliefert, welche in der neuen Generation in zunehmendem
Maße die Weltanschauung bestimmte. Die Folge war
eine rasche Ausbreitung des Materialismus, während die Philosophie
in die Bahnen der strengen Wissenschaft, die sie verlassen hatte,
zurücktrat. Die Spaltung im Lager der Hegelianer führte zu einer
völligen Auflösung dieser Schule und die am Weitesten links stehenden
näherten sich dem Materialismus. In erheblichem Grade wirkte noch
die Herbartsche Pädagogik und Psychologie.
Man suchte dann auf metaphysischem Gebiet eine Versöhnung der
Glaubensbedürfnisse des Gemüts mit den vermeintlichen Ergebnissen
der exakten Forschung. Unter dem Einfluß der Schölling sehen
Naturphilosophie entwickelte Theodor Fechner, der Hauptbegründer
der experimentellen Psychologie (bes. der Psychophysik), ein
auf Pantheismus beruhendes phantasievolles System des spekulativen
Theismus. Doch ist Fechners Gottesbegriff durchaus christlicher Fär~
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