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84 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 2. Heft. (Februar 1924.)
sucht bat, der Musik und der Malerei naturwissenschaftlich näher
zu kommen. Gewiß isteckt viel Geist und fleißiges Forsehertum
darin, aber er hat damit kaum den Vorhof der Musik betreten,
wenn er die Harmonie auf Konsonanz der Schwingungen zurückführt
, eine nach diesen Regeln gemachte Musik würde höchst
langweilig sein, das Wesentliche würde fehlen. Helmholtz selbst
war sich übrigens der Grenzen des naturwissenschaftlichen For»
schens bewußt.
Damit haben wir einige Punkte aufgezeigt, die das Unzureichende
des Rationalen dartun. Von neueren Philosophen, die
das partiell Irrationale der Welt besonders betont haben, seien
Bergson, der schon zitierte Jaspers und Nicolai Hartmann
erwähnt. Dem tiefgründigen Werk des letzteren „Grundzüge
einer Metaphysik der Erkenntnis" (Berlin 1921), verdanke
ich mannigfache Anregung.
Und auch der rationale Dr i e s c h bemerkt, daß es zweifellos
irrationale Elemente im Wirklichen gibt, er rechnet dazu den Zufall
, das Böse, den Irrtum und wohl auch das Leiden.
Im Gegensatz zu manchen Vertretern des Irrationalismus, die
das Irrationale preisen, sieht Driesch darin einen Mangel, was
gewiß vom begrenzten Standpunkt des Rationalismus aus richtig
ist, es scheint mir aber doch fraglich, ob dieser Standpunkt und
dies werdende Urteil dem Weltganzen gegenüber angemessen
ist, ob das nicht eine Überschreitung der Kompetenz der Ratio
ist und ob wir das Irrationale nicht einfach als nackte Tatsache
feststellen müssen, ohne es werten zu können oder zu dürfen, da
das Rationale dem Weltganzen gegenüber nur eine untergeordnete
oder wenigstens nicht die einzige) Rolle spielt, und deshalb
wohl nicht zum Weltkriterium gemacht werden kann. (Vergl.
die IL Auflage der „Wirklichkeitslehre" von Driesch.)
Wenn ich hier einmal die irrationalen Elemente der Welt aufzuzeigen
versuche, so geschieht es nicht deshalb, um aus der
klaren Luft des Rationalismus in die nebelhaften Gefilde eines
Irrationalismus zu kommen. Ich will hier durchaus nicht der
Ratio den Krieg erklären und sie als etwas Minderwertiges gegenüber
dem Instinkt, der Intuition, dem Schauen, dem Glauben
und dergleichen herabzusetzen, ich will ihr nur auf Grund von
rationalistischen Gedankengängen den Platz anweisen, der ihr
gebührt, und zeigen, daß ihr Anspruch als Alleinherrscherin der
Welt unbegründet ist. Ich rede damit der „Mystik" und dem
Irrationalismus ebensowenig das Wort als wie man Republikaner
ist, wenn man in einer Monarchie die Rechte des Volkes betont.
Im Gegenteil scheint es mir durchaus am Platze, wenn der Ratio-
nalismus sein Reich so weit ausdehnt, wie er kann, denn wir ver-
danken ihm vieles, nur soll er sich der zeitlichen und prinzi-
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