http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0093
Tisdiner: Der Okkultismus im Verhältnis zu Irrationalismus u. Mystik. 89
sehen Phänomene der Telepathie und des Hellsehens sind auf
physischem Boden nicht zu erklären, sondern erfordern die Annahme
eines rein seelischen Bereichs, wie ich ausführlich gezeigt
zu haben glaube (vgl. „Über Telepathie und Hellsehen44
sowie „Monismus und Okkultismus"). Aber mir scheint, abgesehen
davon, daß die okkulten Phänomene den Materialismus
jeder Form widerlegen, sind sie verschieden deutbar, sie lassen
sich auch in eine andere idealistische Philosophie als in die
Mystik einordnen.
Worin aber besteht das Gemeinsame der beiden Gebiete? Der
ekstatische Mystiker erlebt bei seiner mystischen Versenkung
und seiner Abwendung von der Außenwelt Entrückungszustände,
die dem Trance des Mediums entsprechen, in diesem Zustande
nun kommen als Begleitzustände auch diejenigen Erscheinungen
vor, die wir als okkulte zu bezeichnen gewöhnt sind,
wie seelische Durchschau, Hellsehen, Levitation und anderes
mehr. Aber es sind doch für den Mystiker nur unwichtige Nebenwirkungen
seines Versenkungszustandes, die mit «seinem Ziel
wenig oder nichts zu tun haben. Was andererseits die okkultistischen
Medien im Trance an ekstaseähnlichen Zuständen
produzieren, scheint mir nicht mit der echten Ekstase der Mystiker
vergleichbar, es haftet ihm etwas Unechtes an, wie ein
Trancemedium — z. B. Helene Smith — viele Rollen spielen
kann, so kann ein derartiges Medium auch die Rolle einer Ekstatischen
spielen, nach dem, was sie von derartigen Zuständen
und Gefühlen gehört und .gelesen hat, die Ekstase wird aber
nicht echter werden als wenn ein guter Schauspieler einen
König .darstellt, und wird im wesentlichen auf Einfühlung be-
ruhen. So betrachtet haben demnach Okkultismus und Mystik
nicht eben viel gemeinsam.
Was man aber heutzutage gemeinhin Mystik nennt, scheint mir
eine andere Physiognomie zu haben, die es jetzt kurz zu zeichnen
gilt, wobei natürlich nur das allgemein Kennzeichnende gebracht
werden kann. Man bezeichnet damit eine Weltanschauung, die
sich im Gegensatz zum Rationalismus fühlt, und die die Weit-
rälsel nicht auf rationalem Wege lösen will, sondern die dem Urgrund
aller Dinge mit dem Gefühl näher kommen will. Im Gegensatz
zum wissenschaftlichen Rationalismus, der bestrebt ist alles
auf Bewegungen in der räumlichen Außenwelt zurückzuführen,
wendet sich diese Mystik von der Außenwelt ab und sieht nach
Innen, auf das eigene Ich horchend. Von dort her will man eine
Weltanschauung bauen. Um nun den Übergang in die Außenwelt
zu finden, macht man das, was beim echten Mystiker das Endergebnis
der Versenkung ist, zur — nicht erlebten, sondern ge*
dachten Voraussetzung und zum Grundstein: die Einheit des
Ichs mit Gott oder dem All. Darauf baut sich dann in einem
System von Entsprechungen das weitere auf; was man beim
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0093