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94 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 2. Heft. (Februar 1924.)
Das Ziel der natürlichen Entwicklung: das wäre nach Driesch
der „endganze Zustand'4 des natürlichen Universums, kann demnach
nur im Gebiete des Transzendentalen liegen. Dahin verlegt es auch
der amerikanische Seher Davis, indem er unsere Welt nicht als
den Abschluß des kosmischen Wachstums betrachtet, sondern nur als
eine Vorstufe zu einem größeren und herrlicheren System, welches,
als ihr Entwicklungsprodukt, gleichsam als eine Verbesserung oder
Reformation der materiellen Welt aufgefaßt werden könnte. Ebenso
spricht Taylor in seinem Buche „Physikalische Theorie eines ande-
reo Lebens" die Vermutung aus, „daß innerhalb des von dem sieht-
baren und wägbaren Universum eingenommenen und von den kreisenden
Gestirnen umzirkelten Raumes ein zweites Universum existiert und
sich bewegt, das — nicht weniger wirklich als das, in dem wir uns
gegenwärtig befinden — mit einer anderen Gattung von Leben erfüllt
ist, das in der Tat körperlich und in seiner Ordnung mannigfaltig,
aber der Kenntnisnahme derer nicht offen ist, welche auf die Bedingungen
der physischen Organisation beschränkt sind, und das deshalb
vom Menschen weder gesehen, noch gehört, noch auch empfunden
wird." — Man mag solchen spekulativen Gedanken jeden Wert absprechen
; Tatsache ist, daß die natürliche Entwicklung
ohne eine Fortsetzung ins Transzendentale
keinen vernünftigen Abschluß finden oder kein
..echtes Ziel'4 haben kann.
Die von Professor Driesch angeführten biologischen Tatsachen:
die Verästelung des Stammbaums in gleichwertige Zweige und die Bewahrung
des Primitiven geben Grund zur Vermutung, daß die Erde
nicht dei Schauplatz ist. wo der eigentliche Entwicklungsprozeß sich
abspielt, sondern vielmehr der Ort, wo er seinen Ausgang nimmt,
um sich als kontinuierliche Höherentwicklung und Harmonisierung
sämtlicher Lebensformen oder der Lebensgesamtheit ins Transzendentale
hin fortzusetzen. Hier in der physischen Sphäre der Natur befänden
sich demnach die gesamten Lebensformen, und zwar sowohl
die einfachst- als auch die kompliziertest-organisierfeen im Stadium
rudimentärer Entwicklung; bildeten also gleichsam die vielerlei Wurzeln
des Baumes der Lebensgesamtheit, der in die Wolken strebt und
sich hierbei unseren Blicken entzieht. Die Erhaltung des Primitiven
läßt uns außerdem erkennen, daß die niederen und niedrigsten Lebensformen
ebenso notwendige und integrierende Bestandteile der sich
entwickelnden Gesamtheit bilden wie die höheren und höchsten. Der
^roße Weltorganismus mag gerade so seine einfachen und komplexen,
seine nifd ren und höheren Organe haben wie d r menschliche Organir~
mus, und sie mögen ebenso ihre bestimmten Funktionen haben, die
einem gemeinsamen Zwecke dienen, wie die der Organe des letzteren.
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