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102 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 2. Heft (Februar 1924.)
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bergen. Das, was man in den mediumistischen Sitzungen sieht, ist
nur das Anekdotenhafte, das sich zu dem wahren Wesen des Problems
etwa so verhält, wie die Aeußerungen- eines Katatonikers zur gesamten
Dementia piaeoox.
Die Parapsychologie ist nicht nur für viele andere Wissenschaftszweige
, sondern auch besonders für die Aerzte von Wichtigkeit, weil
die psychologischen, biologischen, physikalischen und philosophischen*
Probleme, die sie umfaßt, auch für den ärztlichen Forscher von höchster
Bedeutung sind. Die Medizin als Wissenschaft müßte verkümmern,
wenn ihr nicht dauernd von ihren Grenzwissenschaften neue Lebenskraft
zugeführt werden würde. Die Aerzte dürfen sich vor der lauten
Sprache der Parapsychologie nicht länger verschließen; denn sie vor
allem sind imstande, ihre Beziehungen zur menschlichen Seele aufzudecken
. Bei den mediumistischen Phänomenen handelt es sich neben
anderen, noch unbekannten Vorgängen vor allem um seelische Zustände.
An dieser Stelle will ich die Fragen, die den parapsychologischen Forscher
beschäftigen, nicht aufrollen und nur sagen, daß die mediumistischen
Phänomene ihre Erscheinungsform wahrscheinlich dem tiefsten
Unterbewußtsein des Mediums (und vielleicht auch der Sitzungsteilteilnehmer
und anderer Persönlichkeiten) verdanken. Sie stammen aus
einer Tiefe des Unbewußten, die noch weit unter dem Ausgangspunkte
des Traumes liegen mag. Und in der Tat haben auch die in Gegenwart
des Mediums zutage tretenden Erscheinungen etwas Traum-
artiges an sich. Dieses Dasein und Doch-nicht-dasein, diese Zu-
saanmenhanglosigkeit der Vorgänge, dieses Auftauchen und Wiederverschwinden
, alles das erinnert während der Sitzungen an einen Traum,
der jedoch — und hier liegt das tiefe, aber durchaus zu erforschende
Wunder — materielle Gestalt angenommen hat. Wie kann aus
einem Psychischen ein Materielles entstehen? Das
ist eine der Hauptfragen der Parapsychologie. Sie wird gelöst werden.
Die moderne Physik wird uns eine Metaphysik der metapsychischen
Erscheinungen bescheren, die auch dieses scheinbar absurde Gebiet
für das Forschen des menschlichen Geistes freimachen wird. Und dann
wird man auch Verständnis für das Hellsehen gewinnen; denn im
Grunde wurzeln oder gipfeln alle parapsychologischen Erscheinungen
in der gleichen Sphäre.
Genug davon, um nicht über Theorien zu sprechen, die noch nicht
spruchreif sind. Späteren Aufsätzen soll es vorbehalten sein, weiter
in das Wesen der Parapsychologie einzudringen zu versuchen.
Kleine Mitteilungen.
Thomas Mann sprach am 12. Dezember in Berlin über „Okkulte
Erlebnisse", und es war klar, daß diese Ankündigung einen der größten
Konzertsäle der Stadt bis zum letzten Platz zu füllen vermochte. Es
war ein Genuß, den namhaften Dichter erzählen» zu hören, und seiner
plastischen Schilderung der Sitzung bei Schrenck-Notzing in München
zu folgen. Es handelte sieh um die mediumistischen Leistungen Willys,
und wenn auch die Darstellung des Milieus und der Eigenartigkeit der
Erlebnisse mit Humor gewürzt waren, so stand docn sichtlich die
große Zuhörerschar von Intelligenz und Bildung unter dein mächtigen
Eindruck, der darin lag, daß ein Autor von dem Range und den
geistigen Qualitäten Manns es wagte, über dieses Thema in so mutvoller
Weise zu reden, und sich zu der Tatsächlichkeit des Erlebten
zu bekennen. Zwar leugnete Mann nicht, daß einen das Graue«
packen könne, daß es einen anwehe wie ein Hauch des Höllenfeuers,
daß es fast scheine, als seien nicht überirdische, sondern unterirdische,
ja dämonische Kräfte hier im Spiel. Nach seinem Zeuguis ist bei diese«
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