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sollte sich hüten, daß er nicht dereinst wieder ins Tierreich
hinabsinke.
Uns Menschen der Gegenwart freilich würde dieser
Glaube den von Pythagoras erhofften Dienst nicht leisten;
im Gegenteil wäre zu befürchten, daß er wie ein süßes
Opium wirke und uns zu schlaff mache, auf die Wiedergeburt
der Gesinnungen unseres Geschlechts hinzuarbeiten.
Er würde das Streben lähmen, daß unser Menschenreich
der Macht und Klugheit ein Reich der Vernunft, Billigkeit
und Güte werde.
Und doch hat Herder die Idee einer Seelen Wanderung
nicht völlig abgelehnt; nur von der Wiederkehr in ein
tierisches oder menschliches Erdenleben wollte er nichts
wissen. Es erschien ihm einmal für den Zweck sittlicher
Erziehimg notwendig, der Einzelseele eine fernere Existenz
zuzusprechen; sodann auch durchaus natürlich, sich selbst
in seinen Wirkungen und Kräften fortlebend zu denken.
Darum glaubte Herder an eine Seelen Wanderung im Sinne
des Uebergangs der Einzelseele in eine höhere
Dasei nsform, wie ihn auch der greise Goethe bekannt
hat.1)
Hat unser Geist schon im Leib sich über Raum und
Zeit hinweggesetzt, so wird er vollends nach seiner Ent-
körperung sogleich in dem neuen Staate sein, dazu er
gehört. Vielleicht ist dieser unsichtbar um uns her. Vielleicht
sind uns aber auch andre Welten bestimmt, auf
denen wir, wie auf einer goldenen Himmelsleiter, immer
leichter, tätiger, glückseliger, zum Quell alles Lichts emporklimmen
, und den Mittelpunkt der Wallfahrt, den Schoß
der Gottheit, immer suchen und nie erreichen.
Dem zweiten Vielleicht gehört entschieden sein Herz.
Wenn die beiden Freunde in .den „Gesprächen über die
Seelenwanderung'' hinaustreten in die schönbestirnte Nacht
und der kleine Punkt des Erdentals gegenüber der unermeßlichen
Herrlichkeit aller Sterne, Sonnen und Welten
versinkt, da leuchtet ihnen Gottes Sternenschrift auf als
die Urkunde unserer Unsterblichkeit, als die glänzende
Charte unsrer weiteren Wallfahrt. Im Angesicht der Sterne
wird Herder, der Philosoph, zum JDichter; immer heißer
redet er sich in die Idee zukünftigen Sternenlebens hinein,
immer mächtiger rauscht im Schwung gewaltiger Perioden
sein Hymnus daher: Aus Newtons Händen empfangen
wir die Idee der Harmonie der Weltenkörper. Wären die
*) „Wenn ich bis ans Ende rastlos wirke, ist die Natur verpflichtet,
mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen
Oeist nicht ferner auszuhalten vermag."
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