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Koehier: Okkulte Phänomene im Alten und Neuen Testament 191
Mystikern, wie Taiüer und Suso entgegentritt. Auch sind Paulus»
Augustinus, Luther als Mystiker anzusprechen, weil sie eine unmittelbare
Berührung der Seele mit Gott suchten und fanden.
Nun ist es für die Begriffsbestimmung des Okkulten verhängnisvoll
geworden, daß „okkult" und „mystisch" im Grunde und sprachlich
betrachtet dasselbe bedeuten. Denn sie wissen beide von verborgenen
Dingen, und fordern beide zu ihrer Erforschung eine besondere
Einstellung. Während aber bei der Mystik diese Einstellung auf das
Subjekt sich bezieht, das mystische Erfahrungen machen möchte, bezieht
sich beim Okkulten die Einstellung auf das Objekt, das als ein
im Ursprung und Erscheinen Verborgenes erforscht sein will. Der
Mystagogo schließt die Augen gegenüber der äußeren Welt, um desto
tiefer mit den Augen seines Geistes in die Innere Welt schauen zu
können. Der okkulte Forscher aber öffnet so weit wie möglich die
äußeren Augen, er beobachtet mit geschärften Sinnen, er setzt das Bekannte
und Erforschte mit dem Unbekannten und Unerforschten in
Beziehung, um dieses durch jenes aufzuhellen. Der Mystiker schweigt
gegenüber der ganzen Umwelt und sucht das ganz Andere, das von
dieser absolut verschieden! und geschieden ist. ' Alles Mystische trägt
stark religiöse Färbung, wenn auch durchaus nicht * alle Religion
mystisch ist. So vor allem nicht die prophetische Religion Israels,
ebenso nicht das Urchristentum Jesu.
Ünd doch tragen beide Religionen, soweit ihre geschichtlichen Dokumente
Im Alten und Neuen Testament vorliegen, mystische Züge;
sie sind, was nun zu beweisen ist, von okkulten Phänomenen durchwoben
.
So zunächst das Alte Testament. Seine mythischen Bestandteile
kommen für uns nicht in Betracht. Das »Üst ein Kapitel für sich.
Es ist aber einen Eigenart, ja vielleicht ein Ruhm der israelitischen
Religion, daß sie sich im Wesentlichen und im Grunde vom Mythos,
von der Mqgik und Mystik fern gehalten riiat und vielmehr als Gesetzesund
Geschichtsreligion auftritt, die von unmittelbaren Offenbarungen
und Führungen Gottes weiß. Als durch ihre ^großen Propheten
(Arnos, Jesaia, Jeremia, Ezechiel, Micha) und Psalmisten bestimmte
Religion hat sie in dem sittlich und sozial begründeten Beziehungsverhältnis
zu Gott den bezeichnenden Ausdruck ihres Wesens, wie auch
das Christentum, gesucht und gefunden.
Das schließt jedoch nicht aus, daß in Wden Religionen, soweit
ihre Ursprünge und Entwicklungen literarisch fixiert sind, sich Bestandteile
des Magischen finden, das im Alten Bunde wesentlich als
Mantik, im Neuen als Dämonologie erscheint. Wir müssen zunächst
die rein magischen Elemente unterscheiden von den mantischen und
diese wiederum von den prophetischen. (Man verarge uns die vielen
Differenzierungen und Nüancierungen nicht; nur „wer gut unterscheidet,
lehrt gut/*) Als rein magisch anzusprechen im Alten Testament mit
Besiehung auf das Okkulte ist die Erzählung vom Becher, aus dem
Joseph zu weissagen pflegte — ein Fall von Kylikomantie. Wir sehen
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