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Carl: Betrachtungen über das Raum-Zeit-Probtem.
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psychologischen. Die mathematische Zeit gleicht ihrer Struktur nach
einer Raumdimension.
III. Um einen Angriffspunkt für die Physik zu bekommen, ist es
vielleicht gut, Kants Ansicht mit ein paar Worten — soweit das
möglich ist — zu skizzieren. Wir erkennen nicht die Umwelt, so wie
sie ist, also die „Dinge an sich," sondern wie sie uns vermöge unserer
Organisation erscheint. Da wir nun aber diese Erscheinungen ihrer
Form nach durch die reine Anschauung von Raum und Zeit erst
e^zeu^ei* und durch die in unserm Verstand enthaltenen apriorischen
Verknüpfungselemente, die Kategorien, die Möglichkeit der Erfahrung,
also des Erkennens der Gesetzmäßigkeit in den Erscheinungen hervorbringen
, so werden wir die Dinge nie so erkennen, wie sie an sich
sind, sondern immer, aber auch immer so, wie sie uns erscheinen.
Wir lesen also nur das aus den Dingen heraus, was wir in sie hineinlegen
. Wissenschaftliche Physik ist demnach möglich, ihr Bereich
sind aber nicht die Dinge an sich, sondern die Erscheinungen. Auch
Kants Stellung zur Physik ist nicht ohne Kritik geblieben. Bei Kant
sind, so kann man etwa sagen, der physikalische Raum und die physikalische
Zeil der psychologische Raum und die psychologische Zeit,
während der mathematische Raum und die mathematische Zeit bei
ihm die reinen Formen sind.
In der Physik machte man sich bislang im allgemeinen über Raum
und Zeit keine großen Skrupel. Man begann im großen ganzen
gleich mit Raum- und Zeitmessung, wobei man bei der Zeitmessung
auf die Schwierigkeiten hinwies, die wir im ersten Abschnitt kurz
erwähnten. Oder man bezog sich auf Kant und stellte Raum und
Zeit als Formen unserer Anschauung hin. Ein Gegensatz zwischen
psychologischer und physikalischer Form von Raum und Zeit trat
aho nicht weiter hervor Erst in allemeuester Zeit verlangte Ein-
Steins Relativitätstheorie gebieterisch, daß man sich auch in der
Physik eingehender mit Raum und Zeit beschäftigte und vor allem
sich überlegte, was man unter Raum und Zeit in der Physik verstehen
wollte. Die Aufgabe der Physik ist es, die Gesetzmäßigkeiten
der Erscheinungswelt, der Natur, zu erkennen, sie in Maß und Zahl
zu erfassen, die Gesetzmäßigkeiten in Beziehung zueinander zu bringen
und unter möglichst wenig leitende Gesichtspunkte zu stellen. Dabei
wird es ohne Hypothesen nicht abgehen, einerseits um planmäßig
experimentieren, anderseits um wenigstens einigermaßen unser Kausalitätsbedürfnis
befriedigen zu können. Beizeiten gelangte man in
der Physik dazu einzusehen, daß man jedenfalls den Sinneswahrnehmungen
, so wie sie erlebt werden, nicht Realität zuschreiben könne,
wemi man überhaupt Gesetzmäßigkeiten in der Natur erkennen wollte.
Man denke nur an Töne und Farben.
Bei der quantitativen Erfassung der Naturerscheinungen kommt
es schließlich darauf hinaus, alle Größen als Funktionen von vier
unabhängigen Veränderlichen darzustellen. Diese vier Variablen sind
die Koordinaten der Punkte des Raumes und die Zeit. Die philo-
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