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220 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 4. Heft. (April 1924.)
Mannigfaltigkeit zusammengefaßt ist. Kurz, wir haben immer nur
ein Erlebnis. Das Volk als Ganzes hat in jedem .Augenblick soviel
Erlebnisse, als Volksangehörige da sind. Da die Gegenwart für uns
durch ein Erlebnis gegeben ist, das Volk aber in jedem Augenblick
viele Erlebnisse hat, so kann man hier von Gegenwart vom Standpunkt
des Volkes als eines Wesens aus nicht mehr reden. Es liegt etwas
Allgemeineres vor.
Ueber Wesen mit prinzipiell anderen A%schauungsformen als Raum
und Zeit können wir uns natürlich keine Vorstellung machen. Alles
Raum-Zeitliche entfällt für diese Wesen. Sie haben infolge anderer
Anschauungsformen andere Erkenntnisschranken.
Auch Wesen ohne irgendwelche Anschauungsformen sind logisch
möglich. Insbesondere könnte es ein Wesen geben, das alles so, wie
es an sich ist, denkend erfaßte. Für ein solches Wesen müßten dann
Denken und Sein identisch sein. Alles was wir Sein, Geschehen usw.
nennen, wären Gedanken dieses Wesens, das dadurch zum Realsten, zum
Absoluten würde. Der Weg führt zum Pantheismus, Monismus, metaphysischen
Solipsismus. Eine vierte Dimension brauchen wir hierzu
nicht, da Raum und Zeit nur Anschauungsformen, gewissermaßen
Erkenntnisschranken sind.
Vom Standpunkt des metaphysischen Solipsismus, der absoluten Ein-
heit aus, ohne örtliche und zeitliche Trennung, ohne Erkenntnisschranken
im Absoluten, hörten übrigens im Prinzip die okkulten Erscheinungen
auf, Wunder zu sein. Im einzelnen allerdings mag ihnen noch soviel
Rätselhaftes innewohnen. Sind aber nicht alle Erscheinungen, die uns
in Natur und unserer Psyche entgegentreten, Wunder? Nur weil uns
diese Erscheinungen allbekannt sind, fassen wir sie nicht als Wunder
auf, sind wir gegen sie abgestumpft. Mit Recht sagt in dieser Hinsicht
du Pre 1: Philosoph ist, wer sich über sein und der Welt Dasein zu
wundern virmag.
*Es kam uns hier nicht darauf an, eine bestimmte Metaphysik zu
entwickeln. Unsere Absicht war vielmehr, dreierlei hervortreten zu
lassen: i. Wenn wir schon Metaphysik betreiben, so müssen wir mit
Möglichkeiten rechnen, die sich unserer Erkenntnis vollständig ent-
ziehen. Daraus ergibt sich aber schon 2. Wir müssen ,bei jeder
Metaphysik bescheiden sein. Ueber Dichtung und Wahrheit kommen
wir im besten Falle nicht hinaus. Im letzten Grunde ist doch iede
Metaphysik eine Hypothese die unsern Erkenntnistrieb befriedigen soll.
Man hat also zu bedenken 3. Es besteht gar .nicht zur Erklärung
eines Erscheinungskomplexes die Notwendigkeit einer einzigen Hypo-
these. Oft können verschiedene Hypothesen dasselbe leisten. Verlangen
müssen wir aber, daß ein metaphysisches System nicht nur eine Er-
scheinungsgruppe erklärt, während andere Erscheinungen ganz und
gar nicht erklärt werden und nur durch zusammengeschusterte, ad
hoc ersonnene Hilfshypothesen eine notdürftige sogenannte Erklärung
finden.
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