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Vogl: Seltsame Menschen und ihre Erlebnisse. 235
(Frau zu reden, am Tage selbst, an dem sie starb. Die Realität der
andern Welt war für ihn so feststehend, daß er nicht zögerte, seinef
Experimente fortzusetzen, und schließlich starb er selbst beim Experimentieren
auf »lebendes Silber', was nichts anderes ist, als einer der
gewöhnlichsten Decknamen des Ektoplasma."
Seltsame Menschen und ihre Erlebnisse.
Von Werner Vogl, cand. med., Berlin.
Am 27. April 1921 wurde ich mit einem jungen Manne bekannt,
der mir durch den eigentümlichen Glanz seiner schwarzen Augen,
durch die merkwürdig geschwungenen, an der Nasenwurzel zusammengewachsenen
Augenbrauen und durch eine gewisse Schwüle seiner
Gesichtszüge auffiel. Im Laufe des Gespräches erfuhr ich von ihm, er
(H.) sei zwanzig Jahre alt, stamme aus S. in Deutschösterreich, sei
Techniker. Das Gespräch ergab weiter, er sei auf dem Gebiete des
Okkultismus etwas orientiert. Durchaus Materialist gab er okkulte
Phänomene zu, die er nicht wegleugnen könne, versuchte sie aber In
sehr geschraubter, physikalischer Weise zu erklären. Als er dann von
einigen ihm unerklärlichen Erlebnissen zu reden begann, schlug ich
ihm einige Versuche vor, die ich sogleich auf meinem Zimmer mit
ihm machen wollte. Er war bereit, und laut meiner sofortigen Niederschrift
kamen folgende Resultate zustande:
1. Von den ausgestreckten vor sich hingehaltenen Fingerspitzen
des H. geht ein kalter Wind aus, den ich bei einem Meter Entfernung
an meiner Handfläche deutlich spüre. Eine Kerzenflamme
— ebenfalls einen Meter entfernt — weicht flackernd, wie von einem
Luftzug bewegt, nach der entgegengesetzten Richtung aus. H. kann
aber auf Wunsch — durch seinen Willen wie er sagt — die Flamme
auch auf sich m lenken, und er beweist dies. Sehr merkwürdig war
mir, daß ein großes dickes Papier, das ich zwischen ihn und die
Kerze halte, das Versuchsergebnis zwar etwas abschwächen, nicht
aber hindern kann.
2. Eine Spielkarte, die ich, während H. im Nebenzimmer, dessen
Türe ich zugemacht hatte, sich befindet und mit meiner Wirtin sich
unterhält, flüchtig berühre, und dann wieder unter das Spiel mische,
erkennt er (nach seiner Behauptung) an der Wärme wieder, die noch
daran haftete — übrigens beroch er die Karte vorher. Er sagt, jeder
Mensch habe eine besondere Wärme, einen besonderen Geruch usw.
Briefe, die ich ihm gebe, sieht er flüchtig an oder er riecht daran
(er ist kurzsichtig), und gibt mir über den Schreiber ziemlich genauen
Aufschluß. Es sind meist kleine, aber sehr treffende Charaktereigen-
ijümlichkeiten, die er angibt.
3. Einen von mir zweimal gefalteten Zettel mit Zitaten aus Keyserling
beriecht H. und sagt: „Sätze aus einem philosophischen Buch.
Sie schrieben sie ab, dachten dabei aber mit großer Leidenschaft an
etwas anderes und zwar" — nun schildert er mir mit großer Genauigkeit
Gedanken, die mit der Relativitätstheorie in Zusammenhang
stehen, mit der ich mich damals, als ich die Zitate niederschrieb,
tatsächlich lebhaft beschäftigt hatte. Die Niederschrift auf dem Zettel
war ungefähr acht Wochen alt.
4. Ich bitte H. mir zu sagen, woran ich augenblicklich dächte,
wobei ich mir das Bild meiner Eltern möglichst lebendig vorzustellen
versuche. Er sagte: „Ihre Mutter hat schwarze Haare, ist magen-
und unterleibsleidend." Daß meine Mutter magenleidend sei, ist unrichtig
. Die Charakteristik meines Vaters, die nun gegeben wird, ist
auffallend zutreffend. — Plötzlich sagt H.: „Das Jahr 1917 war für Sie
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