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236 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 4. Heft. (April 1924.)
schwer und unangenehm." Tatsächlich hatte ich in jenem Jahre schwere
Konflikte. — Es folgten noch weitere Angaben persönlicher Art, die
überaus genau waren.
5. Er sagt weiter aus: „In der Schule saßen Sie auf der dritten
Bank von hinten rechts im Klassenzimmer. Links von Ihnen, aber eine
Bank weiter zurück, saß ein Jude, den Sie sehr schätzten." Ist vollkommen
richtig. Ich hatte für den jüdischen Mitschüler viel Sympathie
, obzwar ich mit ihm niemals ein Wort gesprochen habe — ich
war nur vier Wochen in der betreffenden Klasse.
6. H. verlangsamt und beschleunigt, wie ich feststellen kann, willkürlich
in kürzester Frist seinen Puls.
7. Mein in seiner Abwesenheit verstecktes Notizbuch findet er sehr
schnell, ohne mich etwa zu führen oder mit mir ein Wort zu sprechen.
Ich blieb ruhig auf meinem Stuhle sitzen, während er den versteckten
Gegenstand fand.
Zu den Versuchen 3—6 setzte sich H. bequem hin und schaltete,
wie er sagte, alle Oedanken aus. Dann sah und fühlte er „Bilder".
Ich konnte bemerken, wie seine Augen einen starren und leblosen Ausdruck
annahmen, so daß er aussah wie ein Toter. Gesicht und Körper
sanken in sich zusammen und keinerlei Regung war mehr zu bemerken
. H. erzählte mir, er habe „schlechte" und „gute" Tage, könne
eiternde Wunden durch Hypnose zur Heilung bringen, er selbst sei
nicht hypnotisierbar, könne aber, zumal in Erregung, schon durch
einen Zuruf andere in Hypnose versetzen.
In seiner Knabenzeit * soll H., infolge Aufregungen in der Schule
(Streitigkeiten mit Lehrern, die ihn zwangen, die Schule zu wechseln),
an einer Körperhälfie anästhetisch gewesen sein, was bis auf einen
kleinen Rest am Arm behoben war, als ich ihn kennenlernte. Ich
möchte H. als Hysteriker ansprechen. Er befand sich wiederholt in
psychiatrischer Behandlung und mußte, wie Lh erfuhr, einige Wochen
nach urserer Bekanntschaft abermals einen Psychiater aufsuchen.
Wie bereits erwähnt, suchte H. alle seine Fähigkeiten rein physikalisch
oder physiologisch zu erklären, durch Geruch, Tastsinn usw.
Uebrigens ist er überzeugt, daß die Seele vom Körper sich trennen
könne. Im Anschluß hieran erzählte er mir folgende merkwürdige
Erlebnisse, die von mir freilich nicht nachkontrolliert werden konnten.
1. Nach dem Essen sitzt er einmal „gedankenabwesend" in seinem
Zimmer. Da sieht er einen Freund, wie er in S., seiner Heimatstadt,
ein Haus mit Kalk bestreicht. Im „Schlaf" sagt er zu ihm: „Dein
ausgestreckter Arm bleibe steif." Er erwacht sofort ohne Erinnerung.
Nach einer Stunde etwa schrickt er plötzlich zusammen und ruft: „Du
bist wach", und nun erinnert er sich des Vorganges. Später erfährt
er, daß zur selben Zeit sein Freund ein Haus mit Kalk weißte, und
daß ihm plötzlich ungefähr eine Stunde lang der Arm schief stehen
blieb, weshalb man ihn schon ins Krankenhaus schaffen wollte.
2. H. liegt wach im Bett. Da fühlt er Qinen leichten Wind im
Gesicht. Das wiederholt sich ein zweitesmal. Er fürchtet sich, macht
Licht und wäscht sich, um ganz munter zu werden, und kleidet srh an.
Wieder fühlt er den Wind. Er beginnt zu lesen, um sich zu beruhigen
. Da fühlt er zwei Hände, und er sieht außer seinem Schatten
noch einen zweiten an der Wand, ohne etwas anderes zu sehen. Der
Schatten bewegt s'ch auf den seinigen zu, und wie sich beide Schatten
berühren, spürt er zwei Hände, die ihn umarmen ... er wird geküßt.
Er faßt zu, merkt Widerstand und fühlt ein Kleid, von dem er ein
Stück abreißt— ohne es zu sehen —, das ihm aber gewissermaßen in
der Hand zerfließt. Nachforschungen ergeben, daß ein ihm sehr nahestehendes
Mädchen in derselben Nacht von ihm lebhaft geträumt hat.
3. In K., wo er das Technikum besucht, ist er einmal krank gewesen
und hatte nicht nach Hause schreiben können. Da habe er
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