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Zeitschriftentibersicht
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welche Betriebsamkeiten ziemlich leicht die erforderlichen Mittel aufzutreiben
sind.
Ich habe bisher von den beobachteten Phänomenen nur die einfachen
, sozusagen physikalischen erwähnt. Uebereinstimmende Beobachtungen
berichten aber auch noch weit kompliziertere and weit*
reichendere: das Sichtbarwerden von undefinierbaren, anscheinend
aus dem Medium austretenden Organen von verschiedener
Konsistenz, schattenartigen, rauchartigen, armstumpfartigen, handartigen
Gebilden. Ja, ein so nüchterner Beobachter wie Erich Bohn, der seinerzeit
das „Biumenmedium" Anna Rothe als Schwindlerin entlarvte, der
also genau Bescheid weiß, hat in drei Sitzungen mit Willi das Erscheinen
einer wohlausgebildeten Hand mit beweglichen Fingern festgestellt: gesehen
und in seiner eigenen Hand gefühlt! Er schreibt abschließend:
„Die Erscheinung der Hand war objektiv. Sie rührte nicht vom Medium
her, sie rührte auch nicht von einem der Anwesenden her und war
die Hand eines lebenden Organismus."
Von den gegenwärtigen Wiener Versuchen mit Willi berichtet der
Schriftsteller Dr. Hans Müller höchst erstaunliche Fälle der Levitation;
nach seinem eigenej Augenzeugnis habe sich Willi horizontal bis
an die Decke des Zimmers gehoben und sei daselbst einige Minuten
in Schwebe geblieben — also ein Phänomen, wie es von indischen
Fakiren oftmals berichtet, aber stets als Suggestionstäuschung der Beobachter
erklärt wurde.
Es ist natürlich überaus bequem, sich die Schlafmütze des gesunden
Menschenverstandes über die Ohren zu ziehen und mit der
Universalerklärung „Schwindel" die Dinge von sich zu tun. Ich kann
es mir so leicht nicht machen. Das Phänomen Willi ist fast noch bedeutungsvoller
, wenn es Schwindel, als wenn es echt ist. Denn ist es
echt, so würden sich die Erscheinungen alsbald in unser Weltbild, es
erweiternd, einordnen. Vielleicht sind diese nur extravagante Manifestationen
einer im Organischen ruhenden Urkraft, die als gestaltbildend
, zeugend, schöpferisch <*uns alltäglich, und deshalb ansehet
nend vertraut, entgegentritt. Würde sich aber erweisen, daß dieserr
zwanzigjährige Bursche fünf Dutzend urteilsfähiger Menschen, die ihn
mit den raffiniertesten Kontrollen in zahllosen nüchtern-wissenschaftlichen
Experimentalsitzungen beobachteten, an der Nase herumführen!
konnte: welche Macht des Irrtums steht dann gegen uns, lebt dann
in uns?
Der Okkultismus steht am Scheidewege. Er ist ehrgeizig geworden
. Er wollte aus einer Glaubenschaft (diese gute Wortbildung
stammt von Max D e s s o i r) eine Wissenschaft werden. Aus den
dumpfen Niederungen der Glaubensbefriedigung wollte et sich in die
harte kalte Gratluft wissenschaftlicher Betrachtungen erheben. » Ein
Glaube braucht nicht bewiesen zu werden, er beweist sich selbst. Eine
Wissenschaft aber muß zu exakter Beweisbarkeit gelangen, sonst ist
sie keine Wissenschaft. Die Führer des wissenschaftlichen Okkultismus*
unter ihnen Schrenck als einer der beachtlichsten, haben den Kampf
weit vorgetragen — es gibt kein zurück mehr. Willi und die Professoren
— das ist ein Wendemal oder ein Markstein. Hier muß endlich ganze
Arbeit getan werden. Es ist eine Frage der Reinlichkeit im Geistes-
Haben sich diese sechzig Zeugen nicht geirrt: dann ist das Vorhandensein
einer psychoghysischen Kraft im Menschen nachgewiesen,
die jenseits unserer bisherigen Erfahrungen liegt. (Wohl zu beachten:
die Feststellung solcher Kraft hätte ganz und gar nichts mit „Spiritismus
" zu tun — sie wäre eine neu entdeckte Energiekateoforie, wie
Kathodenstrahlen oder Radiumemanation!) Haben sich aber die sechzig»
unter verantwortlicher Führung eines alterfahrenen Experimentators
auf diesem Wissensgebiet, allesamt geirrt, sind die Opfer eines uner-
leben.
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