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254 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 4. Heft. (April 1924.)
seelischen Lebens, die sie befähigt, wunderbare Gesichte zu sehen und
eigenartige Stimmen zu hören. Weitentlegenes vermögen sie zu schauen«
ihre Blicke dringen durch Mauer und Wjand, über Berg und Tal. Elisa
„Geist * (sein ausgetretenes Fluidal) wandert mit seinem ungetreuen
Diener Gehasi auf fernem Wege und sieht alles, was dieser tut.
Verführende Irrgeister werden „ausgehend", ja unter Gottes Zulassung
gesandt gedacht, die die Menschen auf Erden zu törichten
Taten bereden (i. Kön. 22,21 ff.). Scharf wird auch schon in den
Niederungen des prophetischen Wesens und Treibens zwischen irreführenden
Lügengeistern und von Gott eingegebenen Geistwirkungen
unterschieden. In jenen Niederungen tritt auch die Magie in Verbindung
mit dem prophetischen Handeln auf. So erfaßt Elisa des
Königs Hände und läßt ihn unter beschwörenden Zauberformeln Pfeile
nach Osten schießen (2. Kön. i3, i4ff.)> um die Siege, die der König
erringen soll, nicht bloß symbolisch anzudeuten, sondern auch zauberhaft
für sein Bewußtsein herbeizuführen. Das Prophetentum auf dieser
niederen magischen Stufe stand im Begriff, ein Gewerbe zu werden.
Besondere Achtung im Volke genoß es nicht. Aber doch kam das
Volk nie ganz von ihnen los. Versammelte doch selbst König Ahab
eines Tages 400 Johweh-„Propbeten", um den Ausgang seines Feldzuges
von ihnen zu erforschen (1. Kön. 22,6). Aus der Gruppe solcher gewerbsmäßig
tätigen Propheten sondern sich die heroischen llecken-
gestalten eines Samuel, Elia und Elisa ab. Sie weissagen nicht um
Geld, sie arbeiten ohne Lohn. Sie lassen sich nicht rufen, sie treten
ungerufen zur Zeil und zur Unzeit vor die Könige und vor die Gewalthaber
und vor alles Volk. Nicht um private Angelegenheiten des
einzelnen Mannes ist es ihnen zu tun; sie mischen sich in die Staatsgeschäfte
und treiben hohe Politik. Dieser Zug wird uns in hervorstechendem
Maße bei den klassischen Propheten begegnen. Für die
Art der vorklassischen Propheten kommen noch folgende charakteristische
Merkmale und Aeußerungen in Betracht. Während das 2. Kön.
f\,i—7, 4,^2—44, 6,1—7 Erzählte durchaus sagenhaften Charakter trägt
und die Totenerweckung 4,i8—37 eine das ähnliche Wunder Elia übertreibende
Duplizität ist, lassen sich aus der Affäre Elisa mit dem
König von Aram 2. Kön. 68—23, die an sich legendär übertreibt,
doch folgende Züge okkulten Charakters herausschälen: 1. Der Pro-
phet weiß hellseherisch und hellhörerisch, was im Geheimkabinett
(Schlafgemach) des Königs in weiter Ferne vor sich geht. 2. Die feurigen
Rosse und Wagen, die der Prophet und seine hellsichtig gewor-
denen Diener schauen, sind als wirkliche Wesenheiten vorzustellen,
wie sie auch heute noch hellseherisch erschaut werden. 3. Die „dämonische
" Blindheit, mit der die Verfolger des ,Propheten geschlagen
werden, ist ah eine auch im Neuen Testament im Leben des Paulus
mehrfach vorkommende Tatsache bezeugt. Ein geradezu klassisches
Zeugnis für die Gedankenlesekraft des Propheten Elisa ist die Unterredung
mit dem mörderischen Usurpator Hasael (2. Kön. 8,7—15). Elisa
weiß vorausblickend, daß Benhadad, der kranke König von Aram, ge-
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