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Koehler: Okkulte Phänomene im Alten und Netten Testament 255
uesen würde, wenn ihn Hasaels Mörderhand verschonen würde. Ja,
der Prophet empfindet die bald sich vollziehende Handlung schaudernd
am eigenen Leibe und muß, gepackt von der schaurigen Gewalt der
kommenden von ihm erschauten Kriegsereignisse, in Tränen aus*
brechen. Auch dieser Vorgang des sympathetischen Miterlebens ist eine
noch heute z. B. bei den diagnostischen Heilmedien wohlbekannte,
okkulte Tatsache» Wenn die meisten Kommentatoren diese Geschichte
um der in ihr erwähnten übernatürlichen Sehergabe willen ins Reich
der Sage verweisen, muß jeder, der die okkulten Phänomene studiert
hat, durchaus die Möglichkeit der so wundersam erscheinenden Einzelzüge
annehmen. Andererseits muß aber auch dem Wahn vorgebeugt
werden, als ob die hellseherische Kraft und Funktion des Propheten
ein seine Frömmigkeit und Gotterwähltheit wesentlich bestimmendes
Charakteristikum ist. Fromm kann stets nur die Gesinnung sein, in
der eine Tat geschieht. Dieser Grundsatz kann nicht ernst genug betont
werden. Die Ausstattung mit der Gabe des Hellsehens ist noch
lange kein Erweis der Gotterwähltfaeit oder des .Frommseins. Wie
ofv wird dieser wichtige Grundsatz übersehen! Und endlich: Wenn
ein sonst frommer Mensch weissagt oder hellsieht, so braucht auch
das nicht ein Akt seines frommen Bewußtseins zu sein. Daß Elisa den
unnatürlichen Tod Benhadads schaudernd am eigenen Leibe erlebt
und den Ilasael im Verlauf schauriger Kriege als König und Nachfolger
Benhadads erblickt, ist an sich keine fromme Tat, sondern nur
ein okkultes Phänomen. Der Prophet ist im Zusammenhang dieser
Geschichte lediglich Statist, eine statistische Figur, an der und durch
<lie etwas geschieht, was ins Bereich des Uebersinnlich-Ueberseelischen
gehört. Er ist, wenn man es so nennen darf, Medium, Mittelsperson,
an der sich die kommenden Ereignisse auswirken. Man könnte sagen:
Es wirkt sich an ihm ein zukünftiges Geschehen aus, und seine Media-
lität ist ein sittlich und religiös indifferenter Habitus. Alles kommt
auf die Aufnahme und Anwendung des Erschauten an. Das fromme
Bewußtsein kann hier ausgeschaltet bleiben; wird es aber eingeschaltet
oder flammt es auf, so vollzieht sich ein Akt der Frömmigkeit. An*
ders nicht.
Bleibt noch die sogenannte „Himmelfahrt Elia" (2. Kön. 2, 9). Wie
der Prophet — ähnlich dem Jesaia, Ezechiel, Sacharja und Paulus —
eine visionäre Entrückung in himmlische Sphären erlebt (1. Kön.
\2,19 ff.), bei der er den Lügengeist von Jahweh, diesen beratend findet
, und seinen Orakelspruch durchaus zweideutig gestaltet, so wird
von ihm ein Auffahren im Sturm auf feurigem Wagen mit feurigen
Rossen gen Himmel berichtet. Wer okkulte Elevationen und Levitatio-
nen erlebt hat, wird an dieser Himmelfahrt ,EIiä nicht alles ohne
weiteres sagenhaft finden. —
Was endlich die sogenannten großen oder klassischen Propheten
betrifft, einen Arnos, Jesaia, Jeremia, Ezechiel, aber auch
Joel, Hosea, Sacharja und die anderen „Kleinen" bis Maleachi, so
haben wir hier wesentlich auf ihre Visionen und Auditionen zu achten.
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