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Albert: Eine neue Ethik?
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Nun hat H. Hänig den „großen kosmischen Zusammenhang
", in dem wir Menschen stünden, in die Debatte geworfen. Zunächst
verkennt er das Wesen der idealen ethischen Forderungen völlig,
wenn er meint, es hängt von der Weltanschauung des einzelnen ab, ob
er ihnen Folge leisten wolle oder nicht. Die ethischen Ziele sind vielmehr
allen Menschen in gleicher Weise gesteckt, ohne Rücksichtnahme
auf historische Bedingtheit, Milieu, Begabung, Charakter; und
die Kategorie des Sollens, der sie angehören, ist absolut. Werde, was
du bist! Diene der Gemeinschaft! — Diese Imperative gelten für alle
ohne Ausnahme. Ihre scheinbare Relativität liegt darin begründet, daß
es viele Formen der „Person" und der „Gemeinschaft" zu verschiedenen
Zeiten in verschiedenen Kulturen gab und gibt. Im Mittelpunkt steht
immer, den „Sinn", den „Kern", das „Wesen", das „Heil" der Einzelperson
zu erkennen und zu verwirklichen. Und das Problem! ist dies:
Gehört das Bewußtsein vom kosmischen Zusammenhang zum Kern der
Person? Müßten wir bejahend antworten, dann käme allerdings ein
wesentlich neues Moment in die Ethik hinein.
Was ist „kosmischer Zusammenhang"? Ich verstehe darunter einmal
die Abhängigkeit des Lebewesens vom Umlauf der Gestirne im
Sonnensystem, und weiterhin die Möglichkeit, daß die Seele vor oder
nach ihrer irdischen Existenz in anderen Formen auf anderen Himmelskörpern
existieren könne. König verquickt damit den Begriff des
„Absoluten", von dem die Mystiker berichten, sowie den Begriff des
„höheren Selbsts" — beides Dinge, die mit dem Räumlichen und dem
Kosmischen zunächst nichts zu tun haben. Betrachten wir die Sache
nunmehr etwas näher!
Bekanntlich erhalten wir über die Beziehungen unseres Lebens
zu den Gestirnbahnen Kunde durch die Horoskope. Diese enthalten
einerseits allgemeine Angaben über äußere Lebensvorgänge, anderseits
Bezeichnungen von Charaktereigenschaften. Während die ersteren, besonders
sobald sie die Zukunft betreffen und ins einzelne zu gehe**
versuchen, vielfach unzutreffend oder vieldeutig sind, stimmen die,
letzteren auffällig gut. Gleichwohl ist nicht ersichtlich, welcher Gewinn
daraus für die Ethik zu ziehen ist. Denn es ist die Gesamtheit
der Charaktereigenschaften, die ein auf sich selbst Aufmerksamer auch
ohne Horoskop kennt, noch lange nicht identisch mit dem „Sinn"
der Persönlichkeit, und die Arbeit an sich selbst bleibt dem Menschern
auch nach Stellung des Horoskops nicht erspart. Weiter! Sowohl die
Akte des Bewußtwerdens vergangener oder zukünftiger Daseinsformen
der Seele, von denen Rudolf Steiner berichtet, als auch die Vorgänge!
des mystischen Einswerdens mit dem Absoluten sind an sich rein sub-
jektive Erlebnisse. Auch das Eingehen in ein höheres Selbst ist zunächst
rein psychologisch aufzufassen und gleichbedeutend mit dem
Nieder tauchen ins Unterbewußte. Freilich tragen diese Akte daneben
zugleich metaphysischen Erkenntnischarakter, und zwar glaubt der
Träger solcher Akte, neue, unerhörte Einsichten gewonnen zu haben,
sei es die unmittelbare Erkenntnis der Gottheit oder des Wesens der
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