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276 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1924.)
Auch die Theorie des Hellsehens und der Telepathie, die diese
parapsychologischen Tatsachen durch die Annahme eines überindivi-
duellen Seelischen erklären will, gewinnt zweifellos dadurch an Wahrscheinlichkeit
, daß sie hierin mit der Metaphysik des psychischen.
Monismus zusammentrifft, obgleich beide auf ganz verschiedenen
Wegen zu dem gleichen Ergebnis gelangt sind. Denn während dasselbe
sich jener als Erklärung für experimentell festgestellte Tatsachen eines
beschränkten Gebietes aufdrängt, so ist diese in der Vergangenheit
durch L ^ i b n i z und L o t z e und in der Gegenwart besonders durch
G. Heymans *) vertreten, eine Weltanschauung, die sich, wie jede
moderne Metaphysik, aus der Zusammenfassung der sämtlichen wissenschaftlich
festgestellten Tatsachen, sowohl physischen als auch psychischen
, ergibt; der festgestellten oder vielmehr der von unserer offiziellen
Wissenschaft anerkannten, zu denen ja die „okkulten" hh jetzt wenigstens
in Deutschland nicht gehört haben.
Allerdings ist ja der psychische Monismus nicht die einzige metaphysische
Hypothese, wohl aber diejenige, die, wie der genannte moderne
Philosoph mit Recht behauptet, „am wenigsten voraussetzt und
mit dem Vorausgesetzten am meisten erreicht".
Denn die seit dem Altertum verbreitetste, auch unter den bloß
fachwissenschaftlich Gebildeten der Gegenwart verbreitetste Metaphysik
, der Materialismus, ist, wie sich von selbst versteht, auch die
oberflächlichste und das tiefere Nachdenken am wenigsten befriedigende
. Sein Grundfehler ist nach Schopenhauer 2) die Annahme, „daß
die Materie ein schlechthin und unbedingt Gegebenes, unabhängig von
der Erkenntnis des Subjekts Vorhandenes, also eigentlich ein Ding an
sich sei. Er legt der Materie (und damit auch ihren Voraussetzungen,
Zeit und Raum) eine absolute, d. h. vom wahrnehmenden Subjekt unabhängige
Existenz bei". Et ist die „Philosophie des sich selbst vergessenden
Subjekts". Aufgehend in der Betrachtung der räumlichen
Objekte, der Dinge, übersieht er, daß diese uns zunächst nur als Be-
wußlseinstatsachen eines Subjekts, unser Selbst, gegeben sind. Fällt
ihm dann später noch ein. daß es auch eine psychische Wirklichkeit
gibt, so muß er, will er nicht sich selbst untreu werden, auch ihre
Erscheinungen, wie die der physischen, als Bewegungen erklären. Damit
aber tut er den Bewußtseinserscheinungen Gewalt an, die als
solche, als Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle usw. nun einmal
keine Geschwindigkeit und keine Richtung im Räume haben, also auch
keine Bewegungen sind.
In dieser Verlegenheit nun, gefesselt durch seine ehernen Naturgesetze
und bedrängt durch die Tatsachen des geistigen Lebens, die
schließlich doch alJes umfassen, was überhaupt wertvoll ist. greift
!) Als hierher gehörige Schriften desselben nenne ich: Einführung
in die Metaphysik, 2 Aufl., und die über sein Lebenswerk kurz berichtende
Selbstdarstellung in die Philosophie der Gegenwart, S. von Raymund
Schmidt B. III»
2) Sämtliche W. W., h. v. Frauenstädt, 3. Bd., 1888, S 357.
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