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286 Psychische Studien. LI, Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1924.)
nung die Tatsache, daß die Aeußerung des Teilbewußtseins
'sich mitunter gegen die gesamte Persönlichkeit richtet. Wir
haben dafür ein Beispiel in den wahnhaften Selbstbeschul-
idigtmgen, wie sie u. a. auch in den Hexenprozessen eine
Rolle gespielt haben. Hier war es wohl das ursprüngliche
Moment der Angst, was die Zerrüttung des Bewußtseins herbeigeführt
hat. Das Teilbewußtsein konnte auf diese Weise
die gesamte Persönlichkeit vernichten.
Auf welche Weise das Teilbewußtsein der gesamten Persönlichkeit
entgegenhandeln kann, habe ich vor kurzem in
{ungleich harmloserer Weise zu sehen Gelegenheit gehabt.
>s handelte sich um Versuche mit automatischem Schreiben,
idie Herr August Friedrich Krause, Schriftsteller in Breslau
, ein guter Kenner und durchaus kritischer Beobachter
aller „okkulten" Phänomene in Gemeinschaft mit seiner Gattin
anstellte. Beide führen zusammen ein umgekehrtes Glas,
das über die Buchstabentafei läuft. Keiner von beiden ist
spiritistisch eingestellt, und sie haben auch bisher niemals
auf diesem Wege Mitteilungen erhalten, die einer spiritistischen
Deutung bedurft hätten. Dagegen gestatteten sie
mir in liebenswürdiger Weise ihre besondere Begabung zu
"wissenschaftlichen Beobachtungen zu benützen Bei einer
solchen Gelegenheit ergab es sich, daß, als sich beide in der
besten Absicht ans Glas gesetzt hatten, ganz unerwartet die
schriftliche Weisung kam: „Gebt euch heute keine Mühe.
Heut' geht es nicht." Die Beantwortung weiterer Fragen
Inach dem Grunde und dem Sitz der Störung, wurden in
»einem unmotiviert-neckischen Tone abgelehnt, der beiden
Teilnehmern, insbesondere auch der Dame, die vielleicht
die überwiegende Kraftspenderin ist, ganz und gar fern liegt.
Herr Krause erzählte mir, daß ihnen Aebnliches schon vorher
passiert sei So erinnerte er sich an einen Pfingstsonntag,
wo sie sich, um dabei der Ruhe zu pflegen, mit Glas und
Tafel auf den Balkon ihrer Wohnung gesetzt hatten. Auch
ida kam die Mitteilung: , Heute erhaltet ihr nichts, versucht
es morgen." Und tatsächlich war ein Schreiben oder besser
Laufen des Glases nicht zu erzwingen, während es am nächsten
Nachmittag vortrefflich ging. Aehnliches kommt ja
auch in spiritistischen Sitzungen vor, wird aber da ohne weiteres
dem Wallen der Geister zugeschoben.
Diese gegensätzliche Wirkung des Teilbewußtseins muß
man kennen und richtig einschätzen, um daraus nicht Fehlschlüsse
auf die Notwendigkeit einer spiritistischen Auslegung
zu ziehen. Auch in der Psychiatrie ist diese Gegensätzlichkeit
nicht unbekannt. So fand ich jüngst erst einen
Fall bei G i e s e (Zeitschr. f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie
1923, Band 81, Heft 1/2), wo eine solche Kranke sagte:
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