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290 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1924.)
sind, zum mindesten nicht mehr lügen, als gewöhnliche Men-
Sschen. Auf alle Fälle sind die Hysterischen Kranke und
— nach meinen ärztlichen Erfahrungen wenigstens — besser
als ihr Ruf. Und auf der andern Seite steht fest, daß in der
Umgebung von Leuten mit robustem Nervensystem im allgemeinen
keine Phänomene erscheinen. Man darf sich also
bei der Untersuchung abnormer Erscheinungen nicht durch
Krankheit der daran beteiligten Personen abschrecken lassen.
Im Gegenteil müssen medial veranlagte Personen, sogenannte
Sensitive, für die Untersuchung künftiger Spukereignisse
unter Leitung geeigneter Forscher bereit gehalten wer-
Iden. Sie sind die Spürhunde, die auf die richtige Fährte leiten
müssen. Ist es doch nicht ausgeschlossen, daß solche
Personen Wahrnehmungen machen, die anderen nicht zugänglich
sind. Womit ich natürlich nicht behaupten will, daß
man jeder unkontrollierbaren Aeußerung in dieser Hinsicht
ohne weiteres Glauben schenken soll. Man könnte aber auch
mehrere gleichzeitig arbeiten lassen und sehen, ob ihre angeblichen
Wahrnehmungen übereinstimmen. Die Annahme
des groben Unfugs oder der künstlichen Inszenierung ist in
jedem Einzelfalle eine Arbeitshypothese, aber so lange kemö
Erklärung, als sie nicht erwiesen ist. Ebensowenig ist die
Krankheitsdiagnose Hysterie eine Erklärung. Auch die neulich
bei dem Spuk inKecskemet*) (Ungarn) in die Welt
gesetzte Erklärung, daß die Erscheinungen auf der Wirkung
unterirdischer Gasläger beruhten, ist keine solche. Denn
dadurch erklärt sich niemals die Gebundenheit an bestimmte
Räumlichkeiten oder Personen. Nur das eine ist
möglich, daß die Beschaffenheit gewisser Stellen der Erdoberfläche
für die Auslösung abnormer Bewußtseinszustände
bei geeigneten Personen disponiert. Knüpfen sich doch alle
Orakelstätten des Altertums, in denen diese Zustände eine
»Rolle spielten, an besondere Gegenden (Grotten und Ge-
birgssschluchten, wobei wohl nicht bloß die durch ihre Romantik
auf das Gemüt wirkende Naturbeschaffenheit in Be-
tiacht kam). Auch die (nicht weit zurückliegenden merkwürdigen
Ereignisse in Limpias (Nerdspanien) spielten
sich in einer Gebirgsgegend ab. All diese Betrachtungen
lehren, daß in jedem künftigen Falle die Fäden der Untersuchung
da erst aufgenommen zu werden verdienen, wo man
feie bisher kurzerhand abzuschneiden pflegte. In Zukunft
imuß — und dazu sollen diese Zeilen beitragen — jede anscheinend
übernormale Begebenheit gerade so wie 6ine
•seltene astronomische Konstellation für die Gewinnung
liöherer Erkenntnis ausgenützt werden, und es darf nicht
*) „Psych. Stud.", Februarheft 1922 (apart zu haben beim Verlag Mutze\
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