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292 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1924.)
Mensch in der Nähe sich befindet. Die Pferde sind dadurch so ängstlich
geworden, daß sie sich fast gar nicht mehr zu jlegen wagen. Obwohl
sie sonst lammfromm sind und sich untereinander gut vertragen,
so daß keins das andere jemals schlagen würde, toben sie oft des Nachts
derart, daß sie morgens schwitzend und mit dem durch das Ausschlagen
und Stampfen aufgeworfenen Staub und Mist bedeckt in ihren Ständen
stehen. Dadurch sind sie stark abgemagert und schwach auf den Beinen.
Ich fürchte, daß sie eingehen, wenn ihnen nicht geholfen werden kann.
Dabei ist das eine davon erst vier Jahfre a|t„ l4as andere allerdings
schon älter.
Nachdem Frau Ilersch vor etwa 6 Wochen bei mir im $lalle war
und eine Besprechung gemacht hat, ist zwar bisher das Zöpfchen-
flechten bis auf zwei oder drei kleinere Rückfälle unterblieben, aber
die übrigen Beunruhigungen bestehen noch und die Pferde legen sich
auch jetzt noch nicht. An gutem Futter lasse ich es nicht fehlen. Die
Pferde haben unnatürlich starken Hunger, bekommen aber auch zu
fressen soviel sie wollen. Ich habe schon einen Tierarzt und verschiedene
Pfuscher zu Rate gezogen, aber ohne Erfolg. Ratten oder
Mäuse gibt es nicht im Stall; wir haben Fallen und eine Katze
Anderen Leuten will ich von der Beunruhigung gar nichts erzählen,
da sie mich doch nur auslachen würden oder annehmen könnten, daß
mir dieser Spuk für irgend etwas als Strafe auferlegt sei. Ich bin der
Meinung, daß ein, mir mißgünstig gesinnter, Nachbar, dessen Hof
5oo m von dem meinigen steht, an der Sache! beteiligt ist oder sie mir
überhaupt angetan hat." —
Vierzehn Tage darauf fuhr ich mit der Hellseherin, einer einfachen
Frau in mittlerem Alter, deren gute Veranlagung ich schon in
verschiedenen Fällen schätzen gelernt hatte, im Wagen des Bauern
nach dessen Einödshofe hinaus. Die beiden Füchse waren vorgespannt.
Kräftig gebaute, aber äußerst magere und müde Tiere, die zumeist
nur Schritt gingen und nur mit vielem Antreiben hin und wieder in
einen kleinen Trab zu bringen waren. Der Kutscher, ein jüngerer
Bruder des Hofbauern, der auf dem Hofe die Dienste eines Knechtes
versieht, erzählte und bestätigte mir das vom Bauern selber Vorgebrachte.
Auch er ist der Ueberzeugung, daß es sich hier nur um eine Behexung
handeln könne. Eine natürliche Erklärung dafür zu finden,
sei unmöglich. Ueber die Art und Weise d$s Zustandekommens der
Zöpfchen wäre niemand in der Lage, etwas auszusagen, denn dieser
Vorgang geschähe nur, wenn die Pferde ganz allein sind. Die Schnelligkeit
aber, mit der die Flechtung entsteht, müßte als überraschend bezeichnet
werden. So z. B. wäre sie bereits einmal fertiggestellt gewesen,
nachdem er sich, mit den Pferden vom Felde heimgekommen, nur
auf 20 Minuten aus dem Stall entfernt gehabt hätte, um in der Stube
„Brotzeit" zu machen. Er und die Magd oder der Bauer brauchten
aber stundenlang zum Aufflechten und Ausbürsten, denn die Zöpfchen
wären sehr fein und fest und überdies besäße jedes einzelne noch!
einen „Schlußknoten". Auch kämen manchmal Querverflechtungen
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