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Udc: Zum Streit für oder wider das Grazer Medium Frau Silbert. 305
beziehungsweise als Betrogene zu stigmatisieren, ist zwar eine sehr
einfache und vielleicht auch sehr bequeme, aber sicher keine wissenschaftliche
Methode.
Ich begab mich also, es sei eigens hervorgehoben, noch bevor der
gegenwärtige Streit um das Grazer Medium entbrannte, an das Studium
der Tatsachen. Ich habe bereits eine Reihe von Sitzungen, eine davon
ebenfalls mit positiven Ergebnissen, am hellen Nachmittag mit Frau
Silbert veranstaltet, und zwar jedesmal im Beisein von mindestens drei
anderen akademisch gebildeten Herren. Jedesmal war auch ein Arzt
zugegen. Meine Absicht ist es heute nicht, die bei diesen Versuchen
in der verschiedensten Weise auf das schärfste geübte Kontrolle und
die mannigfache Verschiedenheit der Versuchsanordnung und die hierbei
erzielten positiven Ergebnisse im einzelnen darzustellen, denn meine
Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Ich behalte es mir
vielmehr vor, mit den Ergebnissen meiner Untersuchungen zu geeigneter
Zeit und in geeigneter Form vor die Oeffentlichkeit zu treten. Ich
schulde es aber der Wahrheit, mich schon heute zum Worte zu melden.
Fürs erste muß ich feststellen, daß sich Frau Silbert, die ich vorher
nicht gekannt habe, jedesmal meiner peinlichen Kontrolle und den
verschiedenen Versuchsanordnungen in bereitwilligster Weise gefügt
hat. Daß zwei dieser Sitzungen, ebenfalls mit positiven Ergebnissen,
in meiner Privatwohnung stattfanden, möchte ich deshalb erwähnen,
weil die Möglichkeit eines Betruges oder von Täuschungen, falls mit
solchen zu rechnen wäre, viel leichter fernzuhalten, beziehungsweise viel
leichter zu entdecken gewesen wären. Als Grundlage der bisherigen
Ergebnisse kann ich bereits mit Sicherheit folgende Tatsachen feststellen
: Wir konnten jene eigenartigen, oft geradezu verblüffenden,
unbedingt durch Intelligenz hervorgerufenen oder, besser gesagt, mit
intelligentem Inhalt erfüllten Klopftöne bei jeder Sitzung in ausgedehntestem
Maße beobachten, ebenso die eigenartigsten Trance-Zustände
des Mediums. Die Tatsache der sogenannten Berührungen an Füßen
und Armen auf eine unerklärliche, jeden Betrug oder Taschenspielerkünste
ausschließenden Weise konnte ich bei jeder Sitzung an mir selbst
und bei anderen Beobachtern nachweisen. Hier möchte ich einfügen,
daß ich nicht zu Hysterie neige, oder selbst über keinen Willen verfüge;
ich neige im Gegenteil gerade in diesen Dingen zur Skepsis. Ein Betrug
oder Selbsttäuschung scheint mir bei der Art und Weise, wie wir die
Experimente und die Kontrolle vornahmen, von jeder Seite ausgeschlossen
. Allein schon die vielen herrlichen und überraschend an Elektrizität
erinnernden Lichterscheinungen, die wir in reichstem Maße bei den
verschiedensten Gelegenheiten einwandfrei beobachteten, stellen die
Existenz okkulter Fähigkeiten, den Mediumismus der Frau Silbert außer
allen Zweifel. Ob das, was ich als Anfang von Telekinese und als
Anfang von Phantombildungen feststellen zu können glaube, in der Tat
das ist, sollen dfe noch weiter fortgesetzten Untersuchungen erweisen.
Aber alles das, was wir bis jetzt zu beobachten in der Lage waren,
hat mit dem landläufigen, sogenannten Spiritismus nichts zu tun. Daß
es sich aber in unserem Falle um außerordentliche, bis jetzt noch nicht
erklärte psychische Kräfte handelt, die Frau Silbert infolge einer ihr
angeborenen Disposition und Konstitution — sie ist eben ein Medium
— besitzt, erscheint mir heute schon unzweifelhaft. Eine Erklärung für
diese Tatsachen abzugeben, soll aber erst dann versucht werden, wenn
die Untersuchungen nach allen Seiten hin soviel als tnc glich abgeschlossen
sind. Auf jeden Fall aber dient es nur der Wahrheit, wenn die Untersuchungen
über den Okkultismus in vorurteilsloser und unvoreingenommener
Weise, niemals aber aus Sensationslust fortgesetzt werden. Gerade
im Namen der Wissenschaft möchte ich Frau Silbert dringend raten,
alle jene vielen, die sich rein nur aus Sensationsgier an sie herandrängen,
und „Schauvorstellungen" verlangen, kurzer Hand abzuweisen.
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