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306 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1924.)
Im Anschluß hieran veröffentlichen wir noch einen Aufsatz aus
der Grazer Zeitung „Tagespost" und freuen uns über das mutige
Eintreten der genannten Herren für das berühmte Medium. Namentlich
die Herren Professoren Dr. Walter und Dr. Haslinger haben sich mit
Nachdruck in der österreichischen Presse für die Echtheit Frau Süberts
eingesetzt, wofür ihnen wärmste Anerkennung gebührt, weit über
Oesterreich hinaus. Red.
Die angebliche Entlarrung der Frau Silbert.
Feststellungen.
Herr Universitätsprofessor Dr. Benndorf hat es im Dienste der
Wahrheit und Wissenschaft für richtig gefunden, unter einer sensationellen
Aufmachung in Wiener und Orazer TagesWättern einen Angriff
gegen Frau Silbert, das bekannte und über die Grenzen Oesterreichs
hinaus hochgeschätzte Grazer Medium zu richten. Er veröffentlicht zu
diesdm Zwecke sechs „Protokolle", die von einigen ehrenwerten Männern
und sicherlich gutgläubig abgefaßt wurden, um zu beweisen, daß
sich Frau Silbert zur Hervorbringung der in ihrer Gegenwart beobachteten
Phänomene grober Taschenspielerkunststücke bedient. Herr Prof.
Benndorf versucht zwar, sich in dem einleitenden Artikel zu salvieren,
indem er erklärt, „er habe nicht die Absicht, mit dieser Veröffentlichung
der Ehre der Privatperson der Frau Siibert nahezutreten". Aber dieser
etwas spitzfindige Versuch, eine Zweiteilung der Persönlichkeit der
Frau Silbert in eine ehrenwerte Privatperson und eine betrügerische
Versuchsperson vorzunehmen, wird in der Oeffentlichkeit kein Glück
haben; vielmehr erweckt der Artikel offensichtlich den Anschein, daß
Frau Silbert als Taschenspielerin gebrandmarkt werden soll. Dies
soll vorerst aus prinzipiellen Gründen festgelegt werden.
• Herr Prof. Benndorf ist Physiker und daher als ein Mann der
exakten Wissenschaft anzusehen. Als solcher müßte er wissen, daß
wissenschaftliche Behauptungen erst dann in die Oeffentlichkeit gebracht
werden dürfen, wenn sie durch experimentelle Beweise sichergestellt
sind. Herr Professor Benndorf hat nichts getan, um sich über
die in Frage stehenden Erscheinungen aus eigener Beobachtung eingehend
zu informieren, obwohl er dazu wiederholt Gelegenheit gehabt
hätte. Er hat ein einziges Mal einer Sitzung mit Frau Silbert beigewohnt
und er hat, wie durch Zeugen bewiesen werden kann, damals
durchaus nicht erkennen lassen, daß er an eine Täuschung oder einen
Betrug durch Frau Silbert geglaubt hat.
Sein Interesse für die mediumistischen Phänomene wurde von allen
beteiligten Kreisen auf das Freudigste begrüßt und von seiner wissen-
sdhaftlichen Mitarbeit eine Klärung jener rätselhaften Erscheinungen
erwartet. Er hat aber nichts dergleichen getan; weder hat er versucht,
sich durch weitere persönliche Teilnahme an den Sitzungen ein eigenes
Urteil über die Phänomene zu bilden, noch hat er die ihm zur Verfügung
gesteilte, umfangreiche Literatur über diese Materie irgendwie
benützt.
Dagegen "hat er, ohne sich ein genügendes eigenes Urteil über diese
kolmplizierten" Fragen gebildet zu haben, Frau Siibert einfach der
Taschenspieierei beschuldigt und die von Haus aus durchaus gutmütige
Frau, die ihre Gaben in vollkommen uneigennütziger Weise der breitesten
Oeffentlichkeit zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt hat,
dadurch in ihrer Ehre so tief gekränkt, daß sie seither nicht dazu zu
bringen war, sich Herrn Prof. Benndorf oder einem von seinem Geiste
beherrschten Kreis zu Versuchszwecken zur Verfügung zu stellen. Er
hat durch sein Vorgehen der wissenschaftlichen Erforschung dieser
Phänomene einen irreparablen Schaden zugefügt; denn es wäre ein
leichtes gewesen, eine der stärksten medialen Begabungen der Gegenwart
, die dank ihrer besonderen Uneigennützigkeit, steten Bereitschaft
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