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Zeitungstibersicht. 309
einen bitteren Geschmack zu haben, eine Empfindung, die von dem
Medium noch Stunden später, als es aus' dem Tiefschlaf längst erweckt
war, noch verspürt wurde. Tatsächlich ist der Unbekannte zunächst
durch die Mörder mittels einer starken Morphiusmlösung vergiftet
worden. Nun schilderte das Medium ebenfalls ohne jeden Fehler,
wie später aus den Untersuchungsakten festgestllt wurde, daß die
Mörder mit ihrem erkrankten Opfer in einen Wald gefahren und unweit
der Elbe Halt gemacht hätten. Die Möller sei von dem größeren
schwarzhaarigen Mann fortgeschickt worden, habe sich durch das Gebüsch
wieder angeschlichen und beobachtet, wie nun der Fleischer
Kirschner mit einem Schlächtermesser dem Opfer einen Stich durch
den Rücken ins Herz versetzt habe.
Diese Mitteilung des Mediums war das Ueber-
raschendste, denn diese Tatsache war dem Unter-
snuchungsrichter selbst noch unbekannt. Die Möller
wurde befragt, ob diese Erzählung des Mediums ebenfalls richtig sei,
und sie gab an, daß Kirschner in der Tat den Fremden erstochen habe,
was sie bisher noch nicht angegeben hatte. Auf eine Frage des
Untersuchungsrichters — das Medium schilderte in allen Einzelheiten,
wie dem Toten ein Ring, eine Uhr und die Brieftasche abgenommen
wurden — konnte sogar ermittelt werden, daß auf einer Legitimation
ein Name stehe, der mit W. anfange, während es dem Medium nicht
gelang, den ganzen Namen zu nennen. Zwei andere Legitimationen,
die dem Toten gehörten, seien in Rauch aufgegangen. Auch diese Angabe
stimmte genau, da nach den Bekundungen der Möller ihr Geliebter
nach der Tat in der Wohsung Legitimationspapiere des unbekannten
Mannes verbrannt habe. Nach der Erweckung des Mediums
war dieses imstande, die in einer anderen Abteilung des Gefängnisses
untergebrachten beiden Mörder unter den anderen Gefangenen zu erkennen
, und auch den zu bezeichnen, der dem Opfer den Messerstich
ins Herz beigebracht hat.
Dieses Experiment, das an Exaktheit wohl alle bisherigen Versuche
weit übertrifft, dürfte die wissenschaftliche Welt noch leonaft beschäftigen
. Der Fall, der alle Anwesenden stark überraschte, wirft die
Frage auf, ob die psychometrische Leistung eine Rekonstruktion von
Zuständen und Vorgängen, oder ob es sich nur um ein im Traumzustand
mögliches mehr oder minder geläufiges Ablesen der Seeleninhalte
bereits informierter Personen handelt, Leugnet man das hellseherische
Entschleiern von Erlebnisbildern, so entsteht die Frage,
ob unbewußte telepathische Beeinflassung der mit der Materie vertrauten
Gerichtspersonen vorlag. Das ist jedoch nicht möglich, weil man
hierbei die Tatsächlichkeit vollendeter Telepathie voraussetzt. Bisher
ist es jedoch noch nie gelungen, im telepathischen Experiment durch
mentale Einwirkung auch nur einen Wortkomplex von fünf Worten
korrekt zu übertragen, ganz abgesehen davon, daß telepathische Einwirkungen
sehr langsam vonstatten zu gehen pflegen. Es ist möglich,
daß die als Ausgangsmaterial für Psychometrie-Leistungen verwendeten
Gegenstände durch den Täter „beeindruckt" werden, und noch nach
Monaten das Medium mit dem Vorgang in Kontakt bringen können.
An der Tatsächlichkeit der psychometrischen Leistung als solcher kann
nicht mehr gezweifelt werden, und die überraschende Exaktheit der
Versuchspersonen in Dessau wird der wissenschaftlichen Welt wertvolle
Anregungen geben. Es wurde in Dessau von der Verquickung von
Hypnose und Hellsehen abgesehen, vielmehr arbeitete das Medium durchaus
selbständig.
Zu dieser Schilderung ist heute nur folgendes zu bemerken: Eine
gründliche Nachprüfung der Angaben des Mediums liegt zweifellos im
öffentlichen Interesse, und es ist zu erwarten, daß der verdienstvolle
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