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Klee: Spukvorginge in einem schwäbischen Pfarrhaus. 339
Am 16. Juli ließ der Pfarrer, da das Fehlen des Läutwerkes zu Unannehmlichkeiten
führte, die untere Glocke durch einen Schlosser
wieder anhringen. Statt des früheren schwachen, wurde ein neuer
dicker Draht genommen/
Am Samstag, den 18. September, nachmittags 2 Uhr, erfolgte
wiederum das rätselhafte Läuten. Die Haushälterin und die vom Institut
zurückgekommene Tochter L. befanden sich im unteren Wohnzimmer
und hörten es. Das Läuten wiederholte sich gegen 10 mal. Der
Draht wurde lang gezogen und bog sich durch. Schließlich riß er neben
der Glocke ab. Der Pfarrer betastete den herabhängenden Draht. Er
kam ihm bei der Stärke auffallend weich vor. Er bog das Ende krumm
und knüpfte es mittels einer Schnur an der Glocke wieder an. Es
läutete noch einige Male, ohne daß jedoch die Zugvorrichtung abriß.
Damit endigten nach den Aufzeichnungen des Pfarrers N. die geheimnisvollen
Erscheinungen im Hause.
Zu den erwähnten Tatsachen nimmt Pfarrer N. in seinem Bericht
an das Konsistorium folgendermaßen Stellung: Die Mehrzahl der Vorgänge
in der Wohnung wurde von soviel Zeugen beobachtet, daß von
einer Sinnestäuschung nicht die Rede sein kann. Er selbst scheidet als
bewußter Täler aus, da die Phänomene auch während seiner Abwesenheit
eintraten. Diese waren ihm sehr unangenehm, da sie großes Aufsehen
erregten. Er bewahrte jedoch die Ruhe und war stets bemüht, der
Sache auf den Grund zu gehen. Die Haushälterin und die beiden Knaben
kommen ebensowenig in Frage, denn das Läuten erfolgte öfters, während
sie alle vier zugleich im Zimmer* saßen.
Der Verdacht könnte höchstens die Magd treffen. Diese war eine
gutmütige, hie und da leidenschaftliche Person. Sie befand sich, wenn
die Glocke ertönte, meistens in der Küche. Auch riß der Draht oder die
Schnur häufig in der Nähe der Küche. Dort hing jedoch die Zugvorrichtung
in einer Höhe von 2/10 m. Mit der Hand oder einem scharfen
Instrument konnte sie nicht so hoch hinaufreichen. Sie hätte sich eines
Stuhles bedienen müssen. Sie wurde jedoch scharf beobachtet; sobald
es läutete, lief man herbei. Wie hätte sie so rasch den Stuhl fortschaffen
können? Wie wäre sie imstande gewesen die Schnur oder den Draht in
mehrere Stücke *) zu zerschneiden? Die Schläge konnte die Magd (ebensowenig
ausgeführt haben. Ein solcher erfolgte beispielsweise an die
Zimmertüre, als sie im Garten war. Die von Bezirksamtsassessor v.
Tucher geäußerte Ansicht, die Magd habe auf den Strümpfen schleichend
die Haustüre selbst geöffnet, ist deshalb nicht zutreffend, weil der
Pfarrer sofort hinabeilte, die Magd mit Schuhen gehen hörte und mit
ihr sprach.
Pfarrer N. kommt zu dem Schlüsse, daß bei all den Vorkommnissen
menschliche Hände nicht im Spiele waren. An einen übernatür-
A) Auch der Draht scheint einmal in mehrere Stücke zerschnitten
worden zu sein. So wird bemerkt, daß an einem der letzten Tage im Mai
der Draht derartig zerriß, daß die beiden Stücke nicht herabhingen, sondern
daß zwei getrennte Teile am Boden lagen.
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