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346 Psychische Studien. LL Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1924.)
schlechlsreifc die günstigste ist, daß aber eben, infolge der allgemeinen
Sexualität, die schöpferische, mediumistische Macht sinngemäß auch
außerhalb dieser Zeit sich dokumentieren kann. Aber auch der sicherste
Weg der geschlechtlichen Zeugung wird unter dem gebieterischem
blinden Zwang des Schopenhauerschen Willens zum Leben, falls derselbe
nicht beschreitbar ist, durch ein Surrogat ersetzt. — Die Macht ist
eben blind und läßt sich vielleicht durch Minderwertigeres abspeisen.
Ein solcher Ersatz können die Materialisationen sein1). Die Psychanalyse
faßt auch von ihrem Standpunkt aus dieselben als Ersatzzeugungen
auf2).
Akzeptiert man im Prinzip die Macht der schöpferischen Idee in
Schopenhauerscher Auffassung des Willens zum Leben als einer blinden
Naturgewalt von ungeheuerer Macht, so ist auch der Uebergang zur Annahme
der prinzipiellen Möglichkeit von Materialisationen gegeben.
Dieses um so mehr, als, worauf besonders Schleich3) hingewiesen hat,
mysterische Wahnideen im Körper materielle Gebilde (Scheintumoren,
Scheinschwangerschaften mit doppelten Herztönen) entstehen lassen
können. Schleich geht sogar soweit4), die Hysterie als „metaphysische
Krankheit" zu bezeichnen. Das heißt: die Wahnideen wirken wie die
schöpferischen Impulse. Wir haben also die Kiette: biologische
Zweckschöpfungen — hysterische Neubildungen —
Materialisationen5).
!) Eine andere Frage ist die, wie weit der Wille zum Leben in den
Materialisationen sein Ziel — wenn er als blinde Gewalt überhaupt ein
fest umrissenes Ziel besitzen kann — erreicht bezw. erreichen kann. Die
größten Leitungen sind bis jetzt von örookes berichtet worden, dem ein
und dieselte materialisierte Idee drei Jahre lang als Kathie King, bzw.
Annie Morgan erschienen ist. Freilich mußte sie immer von neuem erzeugt
werden. Die Idee als solche schien immer, sagen wir, gelebt zu haben,
während ihre Eealisierung immer von neuem vorgenommen werden mußte.
Danach scheinen es nur Moment-Realisationen zu sein. Nun wird aber
berichtet, daß Annie Morgan Stücke ihres Gewandes verteilt hat und daß
sie nicht immer, wie gewöhnlich, wegschmolzen. Das meldet Miß Kislinbury
nach Perty, „Materialisationen und experimentelle Geistererscheinungen"
von Spanir, herausgeg 1921, S. 39. Auch Crookes spricht direkt von
erhalten gebliebenen Haarlocken von A. M. (Psych. Stud. 1875, S. 21).
Daß das Ideoplasma prinzipiell vom Körper des Mediums ablösbar ist,
darauf deuten die Untersuchungen desselben durch Schrenck-Notzing u a.
Alles sehr gewichtige Fragen, auf die mehr geachtet werden müßte, als
bisher.
2) Nach Prof. Schneider-Riga „Zugang zu den okk. Erscheinungen
von der Psychanalyse aus". In den Materialen des Kopenhagener Kongresses
1921 als Manuskript niedergelegt.
3) Schleich, „Vom Schaltwerk der Gedanken", „Hysterie und Gedankenmacht
".
4) In „Vom Schaltwerk der Gedanken" ist ein ganzes Kapitel benannt
„Die Hysterie, eine metaphysische Krankheit".
5) Die Beziehung der hysterischen Neubildungen zu den Materialisationen
fiel mir sofort auf, und ich erwähnte dieselbe in meinem Vortrage im Naturforscherverein
zu Riga am 18. April 1921 (Rig. Rundschau, d. 30. April
1921.) Siehe auch Schneider in Fußnote 10.
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