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358 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1924.)
durch Jahre verdanken, dem sich kein Europäer nervös zu unterziehen
in der Lage wäre. Inwieweit es sich dabei allerdings um gedankliche
Suggestion, wieweit um Verbalsuggestion handelt, lasse ich unentschieden
. Ich neige sehr stark dem ersteren Modus zu. Denn als
Physiker ist mir die Existenz elektromagnetischer „Gedani en wellen"
ab Begleiterscheinung der Atomumlagerungen im Gehirn und Resonanz
in fremden, aufnahmebereiten Hirnen, also Gedankensuggestion, ungefähr
ebenso selbstverständlich, wie 2 mal 2 gleich 4 ist. Hätte man
für Gedankenübertragung keine Fälle, so müßte man geradezu danach
suchen Denn sie müßte vom physikalischen Standpunkt aus einfach
existieren, stets die geeigneten Bedingungen: Stärke des Senders und
Gedankenlehre des Empfängers, vorausgesetzt. Und das ist eben beim
Yogin und seinem Publikum, wie ich selbst zu beobachten häufig
Gelegenheit hatte, der Fall. Stellen Sie sich einmal unter tropischer
Sonne hin und lassen sich eine halbe Stunde eintönig vortrommeln,
dann sehen Sie nicht bloß Mangobäume wachsen, sondern auch das
Seilexperiment als Wachtraum, wenn Sie wollen. Oder Sie sind ein
besondere hartgesottener Giaur." So weit Vageier, der das Seilexperiment
selbst nicht gesehen hat, der aber von zwei angeblichen
Augenzeugen, Beamten des Civil Service of India, davon erzählen hörte.
Die. Frage, ob bei derartigen Yogikünsten Gedankenübertragung
als Erklärung heranzuziehen ist, oder ob man, wie Henning meint,
mit Verbalsuggestion auskommt, muß wohl bis auf weiteres offenbleiben
Prinzipiell wird man Hennings Auffassung gelten lassen
müssen, um so mehr, als die Gedankenübertragung noch nicht als
völlig gesicherte Tatsache angesehen werden kann, und als z. B.
Tischner, ein Hauptverteidiger der Gedankenübertragung, grundsätzlich
eine rein physikalische Erklärungsmöglichkeit der Telepathie
ablehnt. Bemerkenswert ist im übrigen, daß Professor Max Kauf f-
mann, Halle, dafür eintritt, daß auch bei der Hypnose Telepathie
in Frage kommt.
Wie dem auch sei, in unserem Falle handelt es sich' um „Wachhalluzinationenhervorgerufen
durch den Yogin als Suggestator.
Immerhin bleibt die Frage, wie dieser die Wirkung erzielt, nach
wie vor nicht ganz geklärt. Halluzinationen sind bekanntlich Wahrnehmungstäuschungen
, d. h. Wahrnehmungen, die sich von den gewöhnlichen
dadurch unterscheiden, daß ihnen keine wirklichen Dinge
entsprechen. Halluzinationen mit Wirklichkeitscharakter, die als lebhafte
sinnliche Erlebnisse auftreten, wie in unserem Falle, kommen
normalerweise bei einem gesunden wachen Menschen kaum vor. Man
kennt solche, wenn wir von Geisteskranken absehen wollen, überhaupt
nur als Effekt bestimmter Wachsuggestionen bei suggestiblen Subjekten
oder von posthypnotischen Befehlen, oder aber, wenn sie spontan
auftreten, unter der Voraussetzung einer Bewußtseinsdissoziation.
Es sei da z. B. an die umfängliche Statistik erinnert, die fvon der
Sidgwick-Kommission der Society for Psychical Research auf Grund
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