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360 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1924.)
hauptsächlich an Kindern vorgenommen wurden, spielte aber ein zur
Einprägung vorgehaltenes Objekt die Hauptrolle, von welchem die
Versuchsperson nachher ein reell erscheinendes Anschauungsbild haben
soll. Und dieses wandert, nach Jaensch, im allgemeinen mit dem
Blick. Es handelt sich also im wesentlichen um Nachbilder. Derartige
eidetische Bilder, die anscheinend nur bei Kindern häufiger hervorzurufen
sind, sind zudem nach dem Urteil von Professor Karl
Jaspers, Heidelberg, noch recht problematisch und können als Erklärungsprinzip
für unser Problem wohl ernstlich kaum herangezogen
werden. Ueber die allgemeine Klassifikation „Suggestionsphänomene"
wird man, so meint Jaspers (briefliche Mitteilung), wohl heute
kaum hinauskommen.
Wir kommen nunmehr zu den nachträglich mitzuteilenden Augenzeugenberichten
. Daß das Seilkunststück immerhin recht selten
gezeigt wird, geht aus einem Büchlein hervor, welches der Major in der
indischen Armee L. II. Branson unlängst hat erscheinen lassen:
Indian Conjuring, London (Routledge & Sons.), 1922. Branson,
der ein vollendeter Taschenspieler ist, hat sich während 23 Jahren in
Indien vergeblich bemüht, den ropetrick zu sehen oder auch nur einen
Augenzeugen aufzufinden, obwohl er Preise dafür ausgesetzt hatte.
Auch unter den zahlreichen indischen Gauklern, denen er ihre Tricks
abgelauscht hat, fand er keinen, der das Seilkunststück gesehen oder
gar gekonnt hätte. Branson ist daher der Ansicht, daß der Seilbericht
eine Fabel ist. Er bietet demjenigen, der ihm das Kunststück in
der Form, wie es Ibn Batuta einst sah, unter freiem Himmel erfolgreich
vorzuführen imstande ist, eine Belohnung von 3oo Pfund Sterling
, gültig auf 5 Jahre vom 1. 1. 1922 an gerechnet. Seine Adresse
lautet: Major L. H. Branson, The Magic Circle, Andertons Hotel,
Fleet Street, London.
Als Ergebnis eigener Umfragen kann ich heute zwei solche Berichte
milteilen, die freilich nur nach der Erinnerung niedergeschrieben
sind und daher in den Details keinen Anspruch auf unbedingte Zuverlässigkeit
»erheben können. Den einen verdanke ich Herrn Dr. H. H. v.
Veltheim (München), der im Februar 1909 in Kairo sowohl den
Mangotrick, wenn auch in anderer Form als üblich, wie auch das Seilexperiment
selbst gesehen hat. Die beiden Kunststücke, für die er
keine Erklärung hat, seien damals von „Fakiren" täglich vorgeführt
worden, und viele Reisende aus aller Herren Länder hätten sie gesehen.
Der „Fakir" arbeitete auf der Terrasse von Shepheards Hotel,
unter freiem Himmel. Aus einem Palmenkübel oder sonst irgendwoher
nahm er ein Häufchen Erde und pflanzte ein Samenkorn hinein. Dann
begoß er das Erdhäufchen mit Wasser und hockte sich davor, wobei er
beide Hände darüber hielt. Darauf wuchs innerhalb weniger Minuten
eine Pflanze bis zur Höhe von etwa 10—20 cm aus dem Häufchen hervor
, die alle sahen. Bemerkenswert ist, daß er das Häufchen nicht bedeckte
, so daß das Wachsen der Pflanze unmittelbar beobachtet werden
konnte. In der gleichen Weise verschwand dann das Pflänzchen
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