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364 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1924.)
die „Flamme von Compiano" im Val d'Enza zwischen den Provinzen
Reggio Emilia und Parma und auf die „Fackel von Locarno" ...
Wir, anfangs voreingenommen und ungläubig, dann aber durch
den Augenschein von der Tatsächlichkeit des Phänomens überzeugt,
glauben nicht die Autorität und die wissenschaftliche Berechtigung
zu besitzen, das Geheimnis des Phänomens zu enthüllen. Aber wir
hegen den lebhaften Wunsch, es möchte sich eine Vereinigung von
Physikern und Naturforschern dafür interessieren... Es geht nicht
mehr an, von Halluzination oder Suggestion zu fabeln oder das Phänomen
auf einen kindlichen Scherz eines Spaßvogels zurückzuführen
u. a. m., um sich einer ernsten Prüfung des in Dunkel gehüllten Vorganges
zu entziehen.
... Die wissenschaftliche Aufklärung wäre auch höchst wichtig
für die Erziehung des Volkes, da durch sie abergläubische Vorstellungen
ausgerottet werden würden, deren weiterem Umsichgreifen
durch historische Ueberlieferungen Vorschub geleistet wird, die sich
an bestimmte Oertlichkeiten und Familien knüpfen. Wir weisen nur
hin auf die dem unwissenden Volke naheliegende Verknüpfung der
lichter scheinungen von Compiano mit Erinnerungen an Mathilde in
Canossa, Gregor VII. und Heinrich IV. Für Berbenno käme in Betracht
die Erinnerung an die in der Schlacht zwischen Spaniern und
Venezianern bei San Gregorio um iCoo Gefallenen..."
Prof. Buzzi ist der Schwager des erwähnten Weinbergbesitzers
Bürgermeister Negri und hat sich daher zu allen Jahreszeiten längere
oder kürzere Zeit in Berbenno aufgehalten. Er hat die Erscheinung
auch innerhalb der Mauern des Weinberges Negri beobachten können.
Ich habe ihn als einen aufgeklärten, kenntnisreichen und ehrenwerten
Mann kennengelernt, würde daher seine Angaben für zuverlässig
h<en, auch wenn ich die Lichter nicht gesehen hätte.
Mit meinem Reisegefährten Hellwig, der damals dem Okkultismus
ganz fernstand, machte ich Ende Juli 1901 von Pontresina aus einen
Abstecher nach Berbenno, von Sondrio aus in Begleitung des Professors
Buzzi Gleich in der nächsten Nacht hielt ich mit meinem Freunde von
einem Zimmer im Pfarrhause, das uns vom damaligen Erzpriester
Tirinzoni in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden
war, Ausschau nach der „Flamme". Gegen 3 Uhr morgens sahen
wir beide eine dem Monde in Form und FarJ>e gleichende Scheibe
plötzlich auftauchen, aber ebenso plötzlich verschwinden. Ich allein
bemerkte jedoch gleich darauf weiter östlich noch zweimal Lichterscheinungen
^ton derselben Farbe, wie wenn das Licht der am Boden
hinrollenden Kugel durch kleine Lücken in einem Gebüsch sichtbar
geworden wäre. ;
Als ich 1905 als Gast der Familie Negri acht Tage in Berbenno
weilte, war die „Flamme" mir nicht hold. In dar ersten Nacht, um
10 Uhr etwa, machte sich ein Bekannter der Familie Negri den Spaß,
durch ein angezündetes und dann fortgeworfenes Streichholz die Erscheinung
vorzutäuschen. Der Scherz hatte wenigstens das Gute, daß
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