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376 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1924.)
standhält. Die Tatsachen beweisen, daß, wenn eine Person intensiv an eine
aindere denkt, wahrscheinlich die Person, an welche man gedacht hat,
das telepathische Phantom des Agenten sieht, aber mcht daß der
Agent an einen Dritten das Phantom jener Person überträgt, an die
er gedacht hat.
Zwischen diesen beiden Tatsachen ist aber ein himmelweiter Unterschied
; wozu erschwerend kommt, daß nur die erstere real ist und die
aindere phantastisch. Und doch setzen die Verteidiger ä outrance der
telepathischen Hypothese die letztgenannte Eventualität beständ g voraus
, wie wenn es sich um eine festgestellte Regel handeln würde.
Zur Stütze dessen, was ich behaupte, bemerke ich noch, daß die
Abhandlungen über mentale Pathologie sehr zahlreiche Beispiele von Kol-
kktiv-Halluzinationen verzeichnen, besonders in Krisen mystischer Begeisterung
— aber diese Halluzinationen realisieren sich unfehlbar
mittels Verbalsuggestion und niemals mittels telepathischer
Gedankenübertragung.
Diese Feststellung ist absolut symptomatisch und bestätigt wunderbar
die vorstehenden Ausführungen. Wenn man mich nun fragt, wie
kann sich das Phänomen der telepathischen Uebertragung des e genen
Phantoms auf die Person, an die man denkt, erzeugen, so antworte ich,
daß dies niemand bis jetzt erklären kann.
Die Telepathie bleibt für alle ein tiefes Mysterium
und je mehr man studiert, desto weniger begreift man sie. Die physio-
psychische Hypothese der ,,G e d a n k e n - V i b r a t i o n e n" cLe ins
Unendliche in konzentrischen Weilen schwingen, womit man sich schmei-
dielt teilweise das Phänomen zu begreifen, ist gefallen und von kompetenten
Personen verlassen, weil sie mit den Tatsachen buchstäblich
unvereinbar ist. Man kann nur eins als sicher feststellen: Die Telepathie
ist eine spirituelle Sache und folglich manifestiert sie sich in spiritueller
Sphäre (Myers sagt „meta aether")..
Bozzano schließt den Abschnitt mit folgenden Worten:
„Mit diesem Buche über die Phänomene „der Ersche.nungen Verstorbener
am Sterbebett" habe ich eine harte Arbeit unternommen und
die Schlußfolgerungen, zu welchen ich gekommen bin, können w.e folgt
zusammengefaßt werden:
Nach einer vergleichenden Analyse der telepathischen Phänomene
und den Visionen der Sterbenden scheint bewiesen, daß, wenn d.ese
Visionen nur von den Anwesenden, oder auch von dem Sterbenden und
den Anwesenden gesehen werden, man prinzipiell ablehnen muß, daß
die Tatsache sich infolge telepathischer Uebertragung der Gedanken
des Sterbenden erzeugt. Es folgt daraus lqgischerweise., daß die
Visionen, die n u r von dem Sterbenden gesehen werden, n'cht einen von
den anderen Visionen verschiedenen Ursprung haben können und daß
folglich — immer als allgemeine Regel genommen — derselbe Ursprung
der ganzen Gruppe dieser Phänomene zugeschrieben werden muß.
Was die Art dieses Ursprungs betrifft, so% kann man sie aus den
Fällen der Kollektiv-Visionen schließen, in welchen die Identität
des Phantoms, die nicht durch Uebertragung der Halluzination des
Sterbenden erklärt werden kann, notwendigerweise Beweiskraft hat.
Dies beweisen auch die Arten der Manifestationen, welche oft mit der
Halluzinationshypothese unvereinbar sind.
Mit anderen Worten: „Nach wissenschaftlichem Studium der in Frage
stehenden Manifestationen wird man zu dem Schlüsse geführt, daß die
Hypothesen der Halluzination und der Telepathie ungenügend erscheinen,
um die Gesamtheit der Tatsachen zu erklären; und daß im Gegensatz
hierzu, die spiritistische Hypothese sich bewundernswert hierfür eignet."
Es war in dieser kurzen Uebersicht der wertvollen Arbe t Bozzanos
selbstredend nicht möglich, Beispiele aus 3er Sammlung anzuführen. Erst
wenn man die frappierenden Fälle, welche der Autor bespricht, kennen-
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