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Dreher : Zur Frage: Animismus—Spiritismus
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Die Beziehungen okkulter Erscheinungen zum Traumleben sind
evident. H. H. Evers prägt bei einer Begegnung mit Oscar Wilde das
Bonmot: das Leben sei ein Traum, das irgendein absurdes Wesen von
uns träumt. Im Ernst aber kann man behaupten, eine Geisterscheinung
sei ein Traum, den w i r in einem medial veranlagten Wesen träumen.
Im Traum sind die ohne Kontrolle des Bewußtseins in unserm Gehirn
sich abspielenden assoziativen Vorgänge so stark, daß sie Wirklichkeitsqualität
erlangen und Erinnerungsbilder hinterlassen. Daß sich
solche Vorgänge auch im Wachzustände abspielen, ohne die Schwelle
unseres eigenen Bewußtseins zu überschreiten, ist eine bekannte Tatsache
. Daß sie trotzdem lebhaft genug sein können, um das Gehirn
eines Sensitiven zu beeindrucken, ist ebenfalls heute als Tatsache anzuerkennen
.
Daraus :st die Schlußfolgerung zu ziehen: Genau so, wie bei einem
Traum auf Grund der größten Wahrscheinlichkeit die Ursache meist in
einer Wiedererweckung verblaßter Erinnerungsbilder oder in einem
Nachklingen lebhafter Eindrücke zu suchen ist, wobei die schöpferische
Kraft und symbolisierende Tendenz des Traumerlebens oft wesentliche
Umgestaltungen und Verselbständlichungen der Erinnerungsbilder herbeiführt
, so müssen auch die Manifestationen Verstorbener auf Grund
der größten Wahr schein lichkpit stets von vornherein gewissermaßen als
dislocierte Träume angesprochen werden, was sie in der weitaus überbietenden
Mehrzahl zweifellos in Wirklichkeit sind. Es sind eben un-
sere Träume, die von dem Gehirn des Mediums reflektiert werden.
Es ist nur die Frage — und zwar eine immer noch nicht zwingend
beantwortete Frage —, ob es möglicherweise in dem gleichen oder ähnlich
geringem Prozentsatz, den in dem Heer der Träume z. B. prophetische
Träume einnehmen, in dem Heer der Geisterscheinungen auch
solche gibt, die als Manifestationen einer transzendenten Intelligenz erklärt
werden müssen, weil sie der Psyche eines Lebenden nicht entstammen
können.
Jedenfalls schließt die animistische Hypothese die spiritistische so
wenig aus wie diese jene. Unentbehrlich aber ist dies erstere, weil auf
Grund der vorerwähnten Tatsachen derartige Manifestationen einer anscheinend
okkulten Intelligenz theoretisch gefolgert werden müßten,
falls sie praktisch nicht bekannt wären. Auch ist anders nicht die
immer wieder beobachtete Tatsache zu erklären, daß das geistige Niveau
der manifestierten Intelligenz niemals über dem der Sitzungsteilnehmer
zu liegen pflegt. Mängel der „Apparatur" als Grund dafür
anzunehmen, ist nicht angängig; denn selbst ein Durchschnittsgehim
könnte rezeptiv weit höhere Leistungen erreichen, als sie ihm von de»
sich manifestierenden Intelligenzen in der Regel zugemutet werden.
Will man aber annehmen, daß diese, befreit von den Fesseln irdischer
Leiblichkeit, gleichwohl nichts als dummes Zeug reden und tun können,
weil sie seit ihren Lebzeiten nichts zugelernt haben, so dürfte es schwer
fallen, ihre Existenz zureichend zu begründen.
Dr. Edgard Dreher (Berlin).
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