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422 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 7. Heft. (Juli 1924.)
Zur Verwilderung wissenschaftlicher Berichterstattung.
Von Dr. Marcin owski (Heilbrunn, O.-B.).
Seit \lters her ist eine der unerfreulichsten Nebenerscheinungen
wissenschaftlicher Forschungsarbeit, wenn sie als „Gelehrlengezänk"
an die breite Oeffentlichkeil gezerrl wird. Für gewöhnlich geschieht
das von den Leuten, die mehr ihre P e r s o n als den Wert ihrer eigenen
Arbeiten in lebhafte Beleuchtung zu setzen wünschen, zumal das
Auftreten als „Kritiker * die Suggestion der Ueberlegenheit ohne
weiteres in sich schließt und unverhältnismäßig billige Lorbeeren zu
ernten gestattet.
Selbstverständlich wird man einer klugen und ernsten Berichterstattung
nicht zumuten wollen, vornehme Zurückhaltung so weit zu
treiben, daß die eigene Meinung in solcher Sachlichkeit nicht mehr zu
Worte kommt. Wenn aber über wichtige Forschungsgebiete von allgemeinstem
Interesse in der Weise „berichteV wird, daß von einem
unterrichtendem Bericht überhaupt nicht mehr die Rede ist, sondern
das Publikum ausschließlich durch eine Reihe pikanter Randbemerkungen
den Eindruck erhält: „dem hat ers aber gründlich gegeben"
— dann ist es an der Zeit, solcher Verwilderung der Sitten Grenzen zu
setzen; auch wenn es sich wie in vorliegendem Falle um Presseäußerungen
handelt, die an sich wissenschaftlich gänzlich belangloser Natur
sind und ausschließlich einer pseudowissenschaftlichen Sensation dienen.
Es gibt nämlich zwei Sorten von Kritikern; die Journalisten im
üblen Wortsinne, die rasch ein paar sensationelle Sätze für das Sensationsbedürfnis
eines Tageblattes fabrizieren und freudig schmunzelnd
aus der Entwertung anderer ihr eigenes Selbstgefühl aufbauen — und
die ernsten Beurteiler und wirklichen Sachverständigen, die das breitere
Publikum auf etwas aufmerksam machen, das es nicht selber beurteilen
kann, weil das fachwissenschaftliches Wissen erfordert, das zu Kritiken
nun einmal gehört. Zum Journalisten gehört das natürlich nicht; dazu
gehört nur Geschicklichkeit.
Ernst zu nehmen braucht man solche Eintagsunterhaltungen nicht,
und wenn sich ein „Artikelschreiber" einmal gründlich verhaut, so
ist das im allgemeinen kein Grand, ihn dafür bloß zu stellen. Meist
hängt er sich dabei selbst so gründlich niedrig, daß man da kaum
wesentlich nachhelfen braucht. Aber wo die Gefahr vorliegt, daß
ernste Arbeit ernster Männer in einer Weise verunglimpft wird, daß
die Allgemeinheil um deren Forschungsergebnisse betrogen wird, muß
man wohl oder übel zu einer Abwehr schreiten, die an sich sachlich,
nicht lohnt; auch liegt es meist außerhalb des guten Geschmacks, sich
mit solcher „Kritik" einzulassen. Allzuviel ist überdies nur Modeströmung
, von der man sich gern ein bißchen an die Oeffentlichkeit
tragen läßt, und wie gesagt, das ist billiger wie selber arbeiten.
Augenblicklich gehört es nun zum guten Ton, gegen die unbestreitbar
Tatsache gewordene Ungeheuerlichkeit Front zu machen, daß auch
in Deutschland die experimentelle Naturwissenschaft begonnen hat,
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