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Marcinowski: Zur Verwilderung wissensch. Berichterstattung. 423
sich allen Ernstes mit den Erscheinungen okkulter Natur, mit Hellsehen
, PernWirkungen, Materialisationen, ja selbst mit Spukphäno-
menen und fakirhaflen medialen Leistungen zu befassen. Angesichts
der ernsten Ergebnisse, die Forscher von Weltruf, wie Professor Richet,
Crawford, 01h er Lodge, Lombroso, Flammarion u. a. Autoritäten des
Auslandes \ er öffentlichen konnten, galten wir mit Recht als rückständig
, und man verstand unsere vorsichtige Zurückhaltung nicht
mehr, seitdem die Wucht der Tatsachen eine Sprache redete, die zu
überhören nicht mehr als vorsichtige Klugheit gelten konnte, zumal
solches Ueberhören oft mit so leidenschaftlichen Affektausbrüehen
verbunden war, wie sie in der Erörterung wissenschaftlicher Streitfragen
nicht vorkommen sollten. Uebrigens verrät solche Affektivität
in der Regel die sachliche Schwäche eines Standpunktes. Wahre Ueber-
legenheit pflegt sich anders zu äußern, und wer grob wird, sagt man,
habe Unrecht.
Nun ist es eine gesetzmäßige Erscheinung, nicht etwa in der
wissenschaftlichen Forschung als solcher, sondern in bestimmten
Kreisen ihrer zunftmäßigen Vertreter, daß neue Ideen und Tatsachen
zunächst befremden, dann äußerste Unlust erregen, demgemäß aufs
heftigste bekämpft und vor allem durch Spott und Hohn mundtot gemacht
werden, und bezeichnenderweise meist, ohne daß man es der
Mühe für wert hält — was sage ich, unter seiner Würde hält man es,
sich von solchen verpönten Tatsachen durch eigene Forscherarbeit zu
überzeugen. So erging es dem Hypnotismus, so der Luftschiffahrt, so
dem ersten Phonographen, der vor der Pariser Akademie als ßauch-
rednerei „entlarvt" wurde, und selbst Meteorsteine mußten sich bekanntlich
gefallen lassen, in ihrer ehrliehen Existenz angezweifelt zu
werden, weil es einem ernsten Forscher doch nicht zugemutet werden
dürfe, daran zu glauben, daß Steine vom Himmel fallen könnten, weil
dort bekanntlich keine wachsen. So hatte auch Herr von Korff nach
seinem berühmten Automobilunfall (Christian Morgensterns Gedichtsammlung
) einst die Schlußfolgerung gezogen, er könne unmöglich
talsächlich von einem Automobil überfahren worden sein, da an der
Unfallstelle Automobile nicht fahren durften. Difficile est satyram
non scribere!
Solche geschichtliche Ereignisse, die sich zu allen Zeiten wiederholen
, sollten eigentlich stutzig machen. Aber wir scheinen wieder
einmal aus der Geschichte nichts gelernt zu haben, und es ist doch
wahrlich nicht angenehm, in den Annalen der Wissenschaft unter
denen verewigt zu werden, die die Gelegenheit verpaßten, sich auf die
richtige Seite zu schlagen. Nun das ist schließlich persönliche Angelegenheit
eines jeden; aber das öffentliche Interesse scheint es doch,
zu verlangen, daß gewisse Aeußerungen solcher Art, wie sie jetzt zu
Dutzenden in der Tagespresse auftauchen, einmal in ihren Einzelheiten
viviseziert werden, damit ihre Technik und Taktik etwas durchsichtiger
Ich glaube, das Lesepublikum hat einen gewissen Anspruch
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