http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0456
430 Psychische Studien. LI. Jahrgang. 7. Heft (Juli 1924.)
kommen, daß er hier von einem ungeheuerlichen, jeden Wissenschaftler
geradezu beschämenden Vorgang Kenntnis erhält: Das M e d i u in greift
bestimmend in die Versuchsordnung ein! Und um was hat
es sich dabei gehandelt? — In einem großen Käfig sieht ein Tisch.
Auf diesem Tisch liegen ein paar Bücher aufgestapelt. Auf diesen
Büchern steht eine große Spieluhr, und das Medium bittet, die Stellung
dieser Spieluhr im Käfig um etwa io—15 cm nach rechts oder links
zu verschieben — fabelhafte Sache! und da soll man nicht sofort die
klare Betrugs absieht herausholen? Wer dabei war, der kann über
solche Anwürfe nur lächelnd zur Tagesordnung übergehen, denn der
Sachverständige weiß außerdem \on anderen Versuchen her, daß
die exteriorisierten Empfindungssphären der Trancezustände in bestimmten
Abständen um das Medium herum gelagert sind und
dort Wirkungszonen bedingen, die man nicht verletzen darf,
ohne dem Medium selbst, trotz erheblicher Entfernung, zum mindesten
starke Unlust zu verursachen. Kritik ist aber natürlich nur dort möglich
, wo man ein ganzes Wissenschaftsgebiet wirklich beherrscht.
Aber vielleicht soll es sich hier gar nicht um eine wissenschaftliche
Kritik handeln; vielleicht war es auch nur eine journalistische
Gelegenheit, in den Sturm der Entrüstung mit einzustimmen, der
augenblicklich durch den Blätterwald der deutschen Presse rauscht.
Allenthalben tauchen ja diese Zeitungsartikel auf, die mit denselben
und ähnlichen hier gekennzeichneten Mitteln den Fluch der Lächerlichkeit
auf die ernste Forscherarbeit eines Schrenck-Notzing
werfen wollen. Natürlich darf man sich dann keine Gelegenheit entwischen
lassen, um sich ebenfalls als Retier des Vaterlandes und als
Verteidiger bedrohter Wissenschaftlichkeit in Empfehlung zu bringen,
Mittel wähl freibleibend. — Ja die bedrohte Wissenschaft!
In dem „kritisierten* Werk steht z. B. auch zu lesen, wie ll^rr
Dr. Müller versichert, daß er ohne unsachliche Voreingenommenheit
, weder für noch gegen, an die Versuche herangegangen sei, und
wählt dafür in seinem Protokoll den etwas unglücklichen Ausdruck:
„ohne Skepsis." Die Nachbarsätze zeigen zwar deutlich, was er
damit sagen wollte; aber das macht nichts, denn so etwas darf sich der
Kritiker doch nicht entgehen lassen. Hämisch macht der nun darauf
aufmerksam, daß Skepsis doch wohl die Grundlage alles wissenschaftlichen
Denkens sei; deren habe «ich Herr Dr. M. also entschlagen,
und effektvoll schließt er seinen Bericht mit dem erhabenen Appell an
die Verantwortlichkeit der beteiligten Forscher und mahnt
sie, an das unbefleckte Ehrenschild voraussetz ungsbarer
deutscher Wissenschaft zu denken. Nun von dieser Voraussetzungs-
losigkeit und Unvoreingenommenheit hat Herr Dr. Rosenbusch
bei dieser Gelegenheit wenig an den Tag gelegt. Das sind ja auch Erscheinungen
, die den wissenschaftlichen Forscher erst dann auszuzeichnen
pflegen, wenn er bei entsprechender Reife und Erfahrungsreichtum
jene Bescheidenheit erworben hat, die echtes Wissen „angeblich"
zu begleiten pflegt. Echtes Wissen hat es auch meist nicht nötig, auf
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1924/0456