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Hellwig: Moderne Erinnyen.
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Der Fleischermeister K. war durch eine Dienstmagd, die ihn be-
stohlen hatte und die er dafür gezüchtigt hatte, des Mordes bezichtigt
worden. Es handelt sich um eine vielfach vorbestrafte, übelbeleumundete
hysterische Frauensperson, die als durch und durch verlogen von dem
Untersuchungsrichter geschildert wird. Das Medium von Rektor Seeling
hat nun in Dessau die Tat im wesentlichen ebenso geschildert wie die
Anzeigende. Falls die Versuche exakt angestellt sind — bis auf
weiteres habe ich Grund, das zu bezweifeln —, so wäre das ein sejhr
interessantes Beispiel für Telepathie. Irgendwelche kriminalistische Bedeutung
würden die Angaben des Mediums aber auch in diesem Falle
nicht haben. Sie würden sogar verhängnisvoll wirken können, da sie
bei nicht Kundigen geeignet erscheinen könnten», den bestehenden
Verdacht zu bestätigen. Bald nach dem Versuch wurde der Angeschuldigte
aus der Untersuchungshaft entlassen. Er besuchte mich
in Potsdam, um mir für meine vorsichtige Stellungnahme zu danken.
Es kann nach Lage der Sache keine Rede davon sein, daß der vort
dem Medium des Mordes beschuldigte Fleischermeister K. tatsächlich
des Mordes verdächtig ist. Es ist ihm nicht das geringste nachgewiesen
, ja es steht, wie ich schon in meinem ersten Aufsatz annahm,
nicht einmal fest, ob überhaupt jemand ermordet worden ist! Meine
Angaben beruhen auf mündlichen und brieflichen Mitteilungen des
Untersuchungsrichters und des Oberstaatsanwalts.
Meine sämtlichen Behauptungen und Mutmaßungen, die ich in
meinem Zeitungsaufsatz aufgestellt hatte, haben sich mithin als durchaus
richtig erwiesen. Meine Warnung war daher sehr wohl am Platze.
Unter diesen Umständen muß der Herausgeber der „Psychischen Studien
", wie er mir loyalerweis? schon brieflich mitgeteilt hat, anerkennen,
daß seine Bemerkungen, die er auf Grund der einseitigen, von ihm
nicht hinreichend nachgeprüften Berichterstattung gegen mich erhoben
hat, sachlich nicht begründet gewesen sind.
Hiermit dürfte die Angelegenheit sachlich erledigt sein. Mit Rektor
Seeling werde ich an anderer Stelle abrechnen, da ich es im Interesse
der Sache für nötig halte, sein Verhalten deutlich zu kennzeichnen.
Landgerichtsdirektor Dr. Albert Hellwig, Potsdam.
Ein Nachwort Persönliche Auseinandersetzungen sind für
die allgemeine Oeffentiichkeit stets unerfreulich, jedoch veröffentlichen
wir die obigen Ausführungen, um dem Standpunkt „Audiatur et
altera pars" zu seinem Recht zu verhelfen, zumal sich der Einsender
eines ruhigen, sachlichen Tones befleißigt und persönliche Schärfen,
vermeidet. Wir haben unsere Leser durch Abdruck der damaligen aufsehenerregenden
Pressenotiz, wie stets in solchen Fällen, unterrichten
wollen, uüd in der damals angefügten Stellungnahme der Red. wandten
wir uns nur gegen die, wie uns schien, allzu heftigen und voreiligem
persönlichen Herabsetzungen, die von verschiedenen Seiten versucht
wurden. Wir baten, die Entwicklung abzuwarten. Das ist inzwischen
geschehen, und die weitere Erledigung der Angelegenheit muß den
Beteiligten überlassen bleiben. Was die damaligen Worte über gemachte
unliebsame Erfahrungen mit Herrn Dr. Hellwig anbetrifft und
die Warnung, mit ihm zusammenzuarbeiten, so bezogen sie sich darauf,
daß Herr Hellwig im \ori^eü Winter in einer Sitzung in der hiesigen
Forensisch-Medizinischen Vereinigung als Diskussionsredner auf unsere
gemeinschaftliche Teilnahme an einer Sitzung bei Herrn Dr. Kröner
mit dem Hellsehmedium Frau F. zu sprechen kam und dort nach dem
übereinstimmenden Bericht mehrerer Teilnehmer eine Bemerkung angefügt
haben sollte, die geeignet war, mich bei dem Auditorium herabzusetzen
. Nachdem Herr Dr. Hellwig mir wiederholt schriftlich mitgeteilt
hat, daß es sich nur um ein entschiedenes Mißverständnis
seitens der betreffenden Teilnehmer handeln könne, da seine Worte
keineswegs so gemeint gewesen seien, wie mir berichtet wurde, und
nachdem Herr Hellwig noch in einem Briefe vom 12. Juli mir eine
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