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Schroeter: Urwelt, Sage und Menschheit
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symptomatische Bedeutung als Symbol und Markstein einer ganz bestimmten
geistesgeschichtlichen Wendezeit.
Charakteristisch wird in Dacques Werk jenes vergangene, bürgerlich
wohltemperierte, philosophisch oberflächliche Natur- und Lebensbild
aus anderen Tiefen eines völlig gewandelten Bewußtseins überweht
wie von einem gewitterwolkenschweren Sturmwind, der die Weltlandschaft
zum Teil verdunkelt, ja chaotisch überschattet und doch anderseits
unendliche Fernsichten in die Daseinsweiten aufreißt und uns
vor dem Abgrund des Lebens erschauern läßt. Die ungebändigte Gewalt
unmittelbaren und lebendigen Naturempfindens wagt sich wieder
an die düsteren Geheimnisse dämonischer Wildheit und all des grauenvollen
Schreckens, der dem Dasein tief zugrunde liegt, um auch
noch seines Sinnes Herr zu werden. Derartige Stimmen sind in der
bisherigen Naturerkenntnis noch nicht laut geworden und sie werden
der Fachwissenschaft zunächst mißtönend genug klingen.
Aber diese Stimme ist in Wirklichkeit die uns vertraute, alte,
immer gleiche unseres Stammes, unseres Wesens, unserer eigenen germanischen
Kultur und ihrer tragischen, tiefgründigen Lebens- und
Welterfassung, wie sie einheitlich von den uralten Heldenmythen bis
zur Mystik Meister Eckhardts und von Paracelsus, Jakob Böhme und
Johannes Kepler bis zum klassischen deutschen Idealismus führt, um
sich doch anderseits dt?s Grundgehalts des Christentums auf ihre Weise
zu bemächtigen. Von diesem allen lebt ein vollgültiger echter Hauch
in Dacques Werk und macht es zum Spezifisch deutschen geistigen Besitztum
. Insbesondere der mit dem deutschen philosophischen Entwicklungsgang
Vertraute wird erstaunt sein, wie stark hier der alte
Grundton durchklingt, der der deutschen Seele eingeboren scheint
und der gedanklich sich zum letztenmal in den Spekulationen der
deutschen Philosophie vor hundert Jahren ausgesprochen hat. Nur
scheinbar ist der deutsche Geist seitdem an seinem eigenen Wesen irre
geworden. Der Pendel seiner Bewegung, der dann nach der Gegenseite
der naturwissenschaftlichen Empirie und ihres kärglichen Rationalismus
ausgeschlagen war, ist längst im Zurückkehren und bestätigt
du Richtung des Mittelwegs als unbeirrbar idealistisch bestimmt.
Mag dieser letztere Begriff für viele jetzt noch unverständlich sein,
so wirkt doch seine Kraft unmittelbar schon in dem ständig wachsen-
. den Bedürfnis nach der inhaltlichen Lösung der vertieften Lebensfrage
auch in dem Gebiet der Wissenschaft. Es ist ein Mißverständnis,
dieses mächtige Verlangen, insbesondere der jüngeren Generation, mit
dem bequemen Wort „Mystik" abzutun und mißverständlich ist auch
seine Benennung als Renaissance und Neuromantik. Was an jener
älteren Bewegung unzulänglich und verfrüht war, ist endgültig abgetan
. Eine Kritik, die bei der Präzisierung jener Unzulänglichkeit
in Verlegenheit geraten würde, kennt zumeist auch gar nicht Wesen
und Ergebnis jenes früheren Wollens, noch die Aufgabe einer reiferen
Lösung äes beharrenden Problems. Die letztere obliegt der Gegenwart
und Zukunft als organische Notwendigkeit, nicht als ein Epi-
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